
Sicher im Sport
Rund 7,3 Mio. Kinder und Jugendliche in Deutschland sind in Sportvereinen aktiv. Sport macht Spaß, schafft Bewegung und bietet soziale Kontakte. Manchen jungen Menschen begegnet dort aber auch psychische Gewalt. David Knöß, Referent für Schutz vor Gewalt bei der Deutschen Sportjugend (dsj), erläutert, welche präventiven Strukturen es gibt und wo Betroffene Hilfe bekommen.

Die SicherImSport-Studie der Deutschen Sporthochschule Köln, des Universitätsklinikums Ulm und der Bergischen Universität Wuppertal zeigt, dass psychische Gewalt im Sport weit verbreitet ist. Kinder und Jugendliche sind häufig betroffen. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
DAVID KNÖSS: Die Erkenntnisse aus Studien sind sehr wichtig für uns. Sie belegen, was wir in den Anlaufstellen im Sport in der Beratung konkreter Fälle erfahren. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass sich die verschiedenen Gewaltformen meist überschneiden. Betroffene erfahren selten nur eine Form der Gewalt. Gleichzeitig zeigt sich, dass mit einem höheren Leistungsniveau auch psychische Gewalterfahrungen zunehmen. Das deckt sich mit den Fällen, die uns zum Beispiel aus Nachwuchsleistungszentren bekannt sind.
Kommt psychische Gewalt im Sport also häufiger vor als früher?
DAVID KNÖSS: In der Fallarbeit in den Anlaufstellen im Sport beobachten wir, dass mehr Fälle gemeldet werden und auch allgemein der Beratungsbedarf von Betroffenen und Vereinen steigt. Die Studienergebnisse führen zu einer größeren Sensibilität für die verschiedenen Gewaltformen in den Sportverbänden, bei Eltern und Betroffenen. Wir vermuten, dass die erhöhte Sensibilisierung für Grenzüberschreitungen zu einem Anstieg der Fallmeldungen und der allgemeinen Beratungsanfragen zur Prävention bei uns führt. Das heißt nicht, dass es mehr Gewalt gibt, sondern erstmal, dass sie öfter erkannt wird. Das ist gut, denn dann kann die Prävention konkret verbessert und in den einzelnen Fällen können Interventionen eingeleitet werden.
Welche präventiven Aufgaben ergeben sich daraus für die Deutsche Sportjugend?
DAVID KNÖSS: Die Deutsche Sportjugend arbeitet seit über zehn Jahren zur Prävention sexualisierter Gewalt bei Kindern und Jugendlichen. Wir haben hier reichlich Wissen, Materialien, Qualifizierungen und Unterstützungsangebote für Sportvereine. Nun nehmen wir neben sexualisierter Gewalt auch physische, psychische Gewalt und Vernachlässigung in den Blick. Passend hierzu müssen unsere Angebote weiterentwickelt werden.
Für die Intervention bieten wir Austauschformate zur Reflexion an. Für unsere Kolleg*innen in den Landessportjugenden und Landessportbünden gibt es zum Beispiel regelmäßig kollegiale Fallberatung, die wir zusammen mit der Fachberatungsstelle N.I.N.A. e.V. durchführen. Darüber hinaus planen wir mit dem Kinderschutzbund eine digitale Fachveranstaltung zu psychischer Gewalt im Sport am 30. April. Der digitale Fachtag wird einen spannenden Austausch zu psychischer Gewalt im Sport bei Kindern und Jugendlichen ermöglichen und spricht sowohl unsere Ansprechpersonen zu Schutz vor Gewalt im Sport als auch Kolleg*innen aus den Kinderschutzbünden an.
Was können Vereine tun, um psychische Gewalt zu verhindern?
DAVID KNÖSS: Vereine können eine Kultur des Hinsehens schaffen. Dazu gehört, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen Verhaltensregeln zum Umgang miteinander zu erarbeiten. Diese Regeln sollten dann alle im Verein kennen und anwenden. Wichtig ist, Kinder zu stärken und die Kinderrechte hervorzuheben: Wenn Kinder ihre Rechte kennen, fällt es ihnen leichter „Stopp“ zu sagen. Kinder und Jugendliche sollten beteiligt werden, wenn entschieden wird, was im Training passiert oder wie das Sportfest gestaltet sein soll. Trainer*innen haben eine besondere Verantwortung zum Schutz vor Gewalt etwa bei der Gestaltung des Trainings. Bei der dsj stellen wir Trainer*innen über die Website „ICOACHKIDS“ viele Hinweise zur Verfügung, wie ein positives Umfeld im Sport und kindzentrierte Trainings und Wettkämpfe gestaltet werden können. Die Trainer*innen können eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, in der Gewalt keinen Platz hat, aber die Leistung und Motivation der Kinder und Jugendlichen gefördert wird.
Was raten Sie Kindern und Jugendlichen, wenn diese im Training oder beim Wettkampf beschimpft, bedroht oder erniedrigt werden?
DAVID KNÖSS: Für die Kinder und Jugendlichen selbst ist es wichtig, Grenzüberschreitungen erkennen und benennen zu können. Sie sollten sich in jedem Fall Unterstützung suchen. Unterstützung können Sie bei Vertrauenspersonen oder einer der vielen Anlaufstellen bekommen. Die Verantwortung hinzusehen und die Kinder und Jugendlichen zu schützen, liegt primär bei den verantwortlichen Erwachsenen. Also bei den Vereinsverantwortlichen, Trainer*innen, Betreuer*innen ebenso wie bei den Eltern. Wenn sich Kinder an eine Vertrauensperson wenden, ist es elementar, dass Ihnen Glauben geschenkt wird und sie ernst genommen werden.
Welche Anlaufstellen gibt es für betroffene Kinder und deren Eltern?
DAVID KNÖSS: Helfen können Gleichaltrige, die Eltern, Trainer*innen oder andere im Verein aktive Personen. Wichtig ist zu vermitteln: „Du bist nicht allein.“ Anonyme Hilfe gibt es zum Beispiel über die Nummer gegen Kummer oder per Chatberatung über die Plattform krisenchat.de. Ansprechpersonen zum Schutz vor Gewalt im Sport gibt es außerdem in allen Landessportbünden und -jugenden. Auch die meisten Bundesverbände haben Ansprechpersonen. Vereine sollten diese Stellen bekannt machen.
Seit Sommer 2023 gibt es zudem die unabhängige Ansprechstelle Safe Sport e.V. für alle im Sport betroffenen Personen. Für Kaderathlet*innen im Leistungssport gibt es zudem das Angebot von Anlauf gegen Gewalt. Beide bieten psychologische und juristische (Erst-)Beratung an. Alle Anlaufstellen sind auf unseren Webseiten zu finden.
Welche Rolle kommt den Landessportjugenden und -bünden zu?
DAVID KNÖSS: Die Landessportjugenden sind sportartübergreifende Impulsgeber für die Sportvereine und die erste Anlaufstelle für Kinder- und Jugendschutz im Sport auf Landesebene. Sie sind im Kinder- und Jugendschutz aktiv, thematisieren das Thema Gewalt im Sport, bieten Fortbildungen und Beratung an und kooperieren mit anderen Stellen wie dem Jugendamt und spezialisierten Fachberatungsstellen. Sie leisten wichtige und tolle Arbeit für den Kinder- und Jugendschutz in den Sportvereinen. Das gemeinsame Ziel der Deutschen Sportjugend und der Landessportbünde, und -jugenden ist es, den Schutz vor Gewalt im Sport in allen 87.000 Sportvereinen in Deutschland zu gewährleisten. Aber auch die sportartspezifischen Fachverbände tragen ihren Teil dazu bei. Die Deutsche Sportjugend unterstützt die Jugendverbände im Sport in ihrer Arbeit, zum Beispiel über das jährliche Fachforum Safe Sport, Arbeitshilfen sowie Qualifizierungs- und Austauschformate.
Interview: Johanna Kern, redaktionelle Leitung der Verbandszeitschrift,
Kinderschutzbund Bundesverband