
Kinderleicht – und kindgerecht?
Toniebox hören, digitale Schulbücher, Dance-Challenges filmen oder gemeinsames Zocken – die Lebenswelt von Kindern ist heute von Geburt an von digitalen Medien geprägt.
Kinder und Jugendliche wachsen in einer Welt auf, die nicht mehr zwischen digitaler und analoger Realität unterscheidet – beides gehört zusammen. Sobald Kinder greifen und wischen können, schauen sie sich Fotos auf dem Smartphone ihrer Eltern an. Sie unterhalten sich mit Oma und Opa per Videoanruf, hören Kinderlieder und Hörspiele auf Spotify oder nutzen Malprogramme. Alles normal und selbstverständlich. Wer Glück hat, darf bereits in der Kita tüfteln, forschen und erkunden – ob mit Kleinroboter, Endoskop-Kamera oder iPad. Ab der Grundschule gehört es dazu, für die Hausaufgaben im Internet zu recherchieren, Referate per Präsentation am Whiteboard vorzutragen oder per Push-Nachricht der App vom Ausfall der AG zu erfahren.
Elektronische Medien wie Smartphones, Tablets, Computer oder Spielekonsolen faszinieren Kinder und wecken ihre Neugier und Entdeckungslust. Vieles ist leicht und intuitiv zu bedienen, sodass die Kinder in der Anwendung schon bald ihren Eltern voraus sind. Digitale Medien bieten Chancen: Kindgerechte Angebote eigenen sich dazu, Kreativität und Sprachfähigkeit zu fördern. Durch das Internet können Kinder und Jugendliche auf eine Fülle von Informationen, Bildungsinhalten und Unterhaltungsangeboten zugreifen, und soziale Medien und Chatprogramme eröffnen neue Möglichkeiten zur Kommunikation und Interaktion.
Grundsätzlich gilt: Kinder haben ein Recht auf ein gutes Aufwachsen mit Medien. Das heißt auf der einen Seite, dass es einer guten Mischung an Freizeitaktivitäten bedarf, von denen die Mediennutzung ein zeitlich begrenzter Teil sein kann. Und es heißt andererseits, dass Kinderfilme und -serien, Computerspiele und Internetseiten kindgerecht sein müssen. Es ist zentral, dass Kinder bei der Mediennutzung begleitet werden, damit auf den persönlichen Entwicklungsstand des Kindes und das Alter Rücksicht genommen werden kann. Zur bestmöglichen Entwicklung von Kindern gehört, dass sie Zugang zu digitaler Bildung haben und mit den digitalen Medien umgehen lernen.
Digitale Kinderrechte
Neben den Chancen hält das Netz auch Risiken für uns alle bereit. Möglichkeiten zur freien Entfaltung grenzen an mögliche Gefahren wie digitale Gewalt. Die Rechte der Kinder und Jugendlichen auf Teilhabe, Förderung und Schutz sind gleichwertig und nicht in Hierarchie zueinander zu verstehen.
Im Jahr 1992 wurde mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland ein Meilenstein für Kinderrechte gelegt. Auch wenn damals die digitale Lebensrealität von Kindern noch nicht in diesem Ausmaß mitgedacht war, sind diese Rechte auch im digitalen Raum genauso wichtig wie im analogen. Das betrifft vor allem das Recht auf Schutz und Sicherheit (Artikel 19, UN-KRK), das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz (Artikel 16, UN-KRK) sowie das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung (Artikel 32, UN-KRK). Es betrifft das Recht auf Bildung (Artikel 28, UN-KRK) – wie beispielsweise das Recht auf Medienbildung und Medienkompetenzförderung, das Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung (Artikel 31, UN-KRK) sowie die Rechte auf Medienzugang (Artikel 17, UN-KRK) und Meinungs- und Informationsfreiheit (Artikel 13, UN-KRK). Im Jahr 2021 veröffentlichte die UN die Allgemeine Bemerkung 25 des UN-Kinderrechtsausschusses, die noch einmal explizit die digitalen Kinderrechte erläutert. Darin heißt es etwa in Bezug zum Recht auf Spiel und Freizeit: „Das digitale Umfeld fördert das für das Wohlbefinden und die Entwicklung von Kindern unverzichtbare Recht auf Kultur, Freizeit und Spiel.“ (GC25 106). In Deutschland wurde ein Paradigmenwechsel im gesetzlichen Kinder- und Jugendmedienschutz mit der Novellierung des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) eingeleitet: Darin wurde analog zur UN-Kinderrechtskonvention und den digitalen Kinderrechten die Perspektive vom klassischen Schutz hin zu einem modernen Schutz-, Befähigungs- und Teilhabeansatz verschoben. Diese Änderung erkennt an, dass Kinder und Jugendliche nicht nur passive Nutzer*innen von Medieninhalten sind, die vor ungeeigneten und gefährdenden Inhalten geschützt werden müssen, sondern sich genauso wie Erwachsene aktiv und kreativ in der digitalen Welt bewegen (Gefährdungsatlas BzKJ).
Frühkindliche Medienerziehung
Musik und Hörspiele laufen heute in vielen Kinderzimmern über Musikboxen wie die Tonie-Box. Sehr schnell verstehen bereits die Kleinsten, wie sie die Figur zum Abspielen von Liedern platzieren müssen. Frühkindliche Medienerziehung beginnt im Kinderzimmer und sollte idealerweise auch in Kitas stattfinden. Das ist nicht unumstritten. Macht aber Sinn, um Kindern Chancengleichheit auf digitale Teilhabe von klein auf, unabhängig der sozialen Herkunft, zu ermöglichen. Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) betont die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Medienbildung aller Altersgruppen. Denn die Verfügbarkeit von digitalen Technologien allein schaffe noch keine altersgerechte und angemessene Nutzung dieser Medien. Dazu brauche es Wissen und Kompetenzen der Erziehungsverantwortlichen, die darin unterstützt werden müssen, „gute altersgerechte Zugänge zu Medien als auch Alternativen zur Mediennutzung bereits ab dem Kindesalter aufzuzeigen“ (GMK 2023). Es gehe dabei um Kinderrechte wie das Recht auf Mediennutzung, Medienerziehung und gute mediale Inhalte sowie um Persönlichkeitsrechte wie das Recht am eigenen Bild, welche so von Anfang an mitgedacht und vermittelt würden. Um Kinder darauf vorzubereiten, wie sie kompetent und resilient mit digitalen Medien umgehen und mündig im Netz werden, muss Medienbildung und -förderung von Anfang an pädagogisch etabliert sein.

Potenziale der Digitalisierung in Schulen
Den Rucksack voller Schulbücher hin- und herschleppen ist mittlerweile für viele Kinder Schnee von gestern, denn die Inhalte gibt es jetzt bequem digital auf dem Laptop oder Tablet. Die Digitalisierung in Schulen bietet neben pädagogischen Möglichkeiten auch die Chance, digitale Geräte und Anwendungen in die Schulaufgaben, etwa zur kreativen Umsetzung oder zu Recherchezwecken einzubinden, auch als ganz praktische, wortwörtliche Erleichterungen des Alltags für Kinder. Die Schule nimmt für die Vermittlung von Medien- und Digitalkompetenz von Kindern und Jugendlichen eine sehr zentrale Rolle ein. Lehrkräfte haben eine besondere Verantwortung, Medienbildung als Querschnittsaufgabe zu verstehen und diese in ihrem Unterricht mitzudenken und umzusetzen. Wichtig wäre, das Lehramtsstudium stärker an die digitale Realität unserer Zeit anzupassen. Die Bildungspolitik sollte die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stellen. Das Lehren dieser Kompetenzen darf dabei nicht nur rein technisch verstanden werden. Relevant sind auch die sozialen Kompetenzen, die einen respektvollen Umgang im digitalen Raum beibringen.
Digitale Teilhabe
Wenn Schulen auf digitale Lernumgebungen setzen, wird leider oft vorausgesetzt, dass alle Kinder und Jugendlichen auch über die technischen Geräte verfügen. Für von Armut betroffene Familien kann das ein gravierendes Problem sein. Die Corona-Pandemie hat die soziale Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit der Digitalisierung wie unter einem Brennglas gezeigt. Das macht auch die Studie „Armut und digitale Teilhabe“ des Paritätischen Gesamtverbands aus dem letzten Jahr deutlich. Armut führt zu digitaler Ausgrenzung, denn es fehlt armen Familien an Geld für Technik und an Gelegenheit, digitale Kompetenzen zu erwerben (Paritätischer 2023). Es muss eine Infrastruktur geschaffen werden, die allen Kindern und Jugendlichen unabhängig ihrer sozioökonomischen Verhältnisse eine gleichberechtigte digitale Teilhabe ermöglicht.
Begleitung und Befähigung
Zwei Mädchen, beide zehn Jahre alt, treffen sich bei schönstem Sonnenschein draußen auf dem Dorfplatz, um die neueste Tanz-Choreografie zu üben und filmen sich dabei mit ihrem Smartphone. Zwei Jungen, elf und zwölf Jahre alt, zocken auf dem Tablet EA Sports FC 24 und tauschen sich über die beste Abwehrstrategie und die geeignetste Mannschaftsaufstellung aus.
Laut der aktuellen KIM- und JIM-Studien bleibt das persönliche Treffen mit Freund*innen die wichtigste Freizeitbeschäftigung für Kinder und Jugendliche. Dabei nutzen sie heute häufig ihre Smartphones oder andere digitale Geräte. Die Mediennutzung wird mit Bewegung, Kreativität und Unterhaltung kombiniert.
Für die Kinder und Jugendlichen ist es sehr wichtig, dazuzugehören. Wer in der Peergroup „in“ sein will, muss wissen, welche Spiele, Netzwerke und Kommunikationskanäle es gibt und wie diese benutzt werden. Egal ob TikTok, Instagram oder Online-Spiele: Eltern brauchen Verständnis für ihre Kinder und sollten mit ihnen über die Mediennutzung sprechen. Dazu gehört es, gemeinsame Regeln aufzustellen und immer wieder anzupassen. Kindern sollte bewusst gemacht werden, welche Risiken und Gefahren mit der Nutzung sozialer Medien und dem Gaming einhergehen.
Kinderschutz im digitalen Raum
Schön wäre es, wenn Kinder sich im digitalen Raum frei bewegen könnten, ohne dabei Gefahren ausgesetzt zu sein. Dazu müsste der digitale Raum kindgerecht und kindersicher gestaltet werden. Hier ist noch viel Luft nach oben.
Zu den Risiken und Gefahren zählen im digitalen Raum unter anderem Desinformation und Fake News, gesundheitsgefährdende Challenges, Verschwörungstheorien und extremistische Inhalte, psychische Probleme durch exzessive Mediennutzung oder auch Kostenfallen durch Werbung oder Online-Glücksspiel. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Formen der (sexualisierten) digitalen Gewalt, wie Hate Speech, Cybermobbing oder Cybergrooming. Der Schutz im digitalen Raum ist daher ein drängendes Thema. Neben dem Schutz vor Gewalt gehören zum Kinderschutz im Netz auch das Thema Datenschutz, das Recht auf Privatsphäre sowie der Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung.
Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Die Bandbreite an möglichen Gefahren und Einschränkungen, denen Kinder und Jugendliche im digitalen Raum ausgesetzt sein können, macht die Dringlichkeit für Maßnahmen, Handlungsempfehlungen und strukturelle Veränderung deutlich. Kinderschutz im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Staat steht in der Verantwortung, geeignete Gesetze zu verabschieden und ihre Einhaltung zu überprüfen sowie personelle und finanzielle Ressourcen für Beratungs- und Hilfsangebote für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern zur Verfügung zu stellen. Eltern und alle Personen in Erziehungsverantwortung sind gefragt, Kinder und Jugendliche in ihrer Mediennutzung zu begleiten, sie aufzuklären und ihnen die notwendigen Kompetenzen mitzugeben, um digital mündig und resilient zu werden. Sie sind außerdem in der Verantwortung, Ansprechpersonen für betroffene Kinder und Jugendliche zu sein oder zu suchen, sollten sie Hilfe benötigen. Insbesondere Plattformen und Gerätehersteller*innen sind in der Verantwortung, Schutzmechanismen und Schutzeinstellungen so zu gestalten, dass sie Kinder und Jugendliche als Nutzende wahrnehmen und mitdenken.
Der Kinderschutzbund ist hier auf allen Ebenen beteiligt: Mit seiner politischen Lobbyarbeit, im Austausch von Fachgremien mit Blick auf die Kinder, mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche und deren Eltern. Der Kinderschutzbund engagiert sich dafür, dass Kindern und Jugendlichen der Zugang zur digitalen Welt ermöglicht wird – und er setzt sich dafür ein, dass sie vor Gefahren im Netz effektiv geschützt werden.
Hannah Lichtenthäler, Fachreferentin für Medien und Digitales,
Kinderschutzbund Bundesverband