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Online-Extra: Den Durchblick behalten

Im Internet und in den sozialen Medien gibt es jede Menge Meldungen, Fotos oder Videos – auch Desinformation, Verschwörungstheorien und Fake News. Es ist wichtig zu wissen, wie man seriöse Quellen erkennt und von zweifelhaften Informationen und Medien unterscheidet. Dr. Philip Karsch, Medienpädagoge und Vertretungsprofessor an der Philipps-Universität Marburg, erläutert wie Kinder und Jugendliche dabei unterstützt werden können.

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Wie informieren sich Kinder und Jugendliche heute über das Weltgeschehen?

PHILIP KARSCH: Zunächst einmal vorneweg: Kindern und Jugendlichen wird oft unterstellt, dass sie sich nicht für Politik interessieren würden. Das stimmt aus meiner Sicht nicht. Kinder und Jugendliche interessieren sich sehr wohl für Themen, die an ihre Lebenswelt anknüpfen, zum Beispiel für den Klimawandel, für den Krieg in der Ukraine, den Nahost-Konflikt oder Diversität und Vielfalt. Junge Menschen möchten sich beteiligen, auch wenn das im Netz vielleicht nicht immer sichtbar ist.
Studien wie die JIM-Studie zeigen, dass für Jugendliche die wichtigste Informationsquelle nach wie vor die Familie ist. Danach folgen klassische Medien wie Fernsehen oder Radio, wenn es rein um die quantitative Nutzung geht. Seit einiger Zeit steigen auch Social-Media-Kanäle wie YouTube, Instagram oder TikTok in der Gunst der Jugendlichen als Informationsquelle. Was die JIM-Studie nicht aussagt, ist was die Jugendlichen auf den Kanälen wirklich machen. Das Angebot ist sehr vielfältig. Auf YouTube gibt es zum Beispiel viele Videos von Influencer*innen, die sehr unterschiedlich einzuordnen sind, aber es gibt auch Kanäle der öffentlich-rechtlichen Medien wie zum Beispiel funk, auf denen Informationen und Unterhaltung zu finden sind. Der Unterschied zur klassischen Informationssuche ist bei social media: Man sucht dort nicht gezielt nach einzelnen Informationen, sondern stößt fast schon zufällig auf Inhalte – je nachdem, was der Algorithmus, der dahintersteckt, einem in den Feed spült.

Was bedeutet Nachrichtenkompetenz und wie erlernen Kinder und Jugendliche diese?

PHILIP KARSCH: Nachrichtenkompetenz kann man zum einen technisch verstehen: Dann geht es darum, welche Angebote und Plattformen es gibt, wie eine Nachrichtensendung oder eine Zeitung entsteht. Es gehört dazu zu wissen, dass es unterschiedliche journalistische Darstellungsformen gibt und eine lange Recherche etwas anderes ist als eine tagesaktuelle Nachricht. Hilfreich ist es, Nachrichtenportale und Verlage mit unterschiedlicher Ausrichtung zu kennen. Heute sollten Kinder und Jugendliche zudem wissen, dass es Algorithmen und künstliche Intelligenzen gibt, die dafür sorgen, dass Nachrichten in einer bestimmten Form zusammengestellt werden. Sie müssen wissen, dass ihr Newsfeed nicht unbedingt so aussieht, wie der von ihren Freund*innen.

Häufig wissen junge Menschen bereits, dass es Algorithmen gibt und was sie machen. Hier sind sie teilweise schon durch die Medien, die Angebote selbst und ihre Alltagserfahrungen sozialisiert. Für die genauen Hintergründe und ein vertiefendes Verständnis gibt es viele verschiedene Materialien, zum Beispiel von klicksafe oder dem Internet-ABC, die an Schulen und in der offenen Kinder- und Jugendarbeit eingesetzt werden können. 

Eine andere Perspektive auf Medien- oder Nachrichtenkompetenz wäre es, diese als Medienkritik zu verstehen. Damit ist nicht gemeint, dass man alles doof findet, was man liest, sondern sich mit verschiedenen Aspekten einer Information auseinandersetzt. Nach dem Medienkompetenzmodell von Baake (Dimensionen von Medienkompetenz nach Dieter Baacke) gibt es eine analytische, eine reflexive und eine ethische Dimension. Das heißt ich muss mir zum Beispiel bei einem Film oder einer Nachricht überlegen: Was sehe ich da? Was hat das mit mir selbst zu tun? Was macht das mit mir und mit Gesellschaft? Das einschätzen zu können ist auch eine Frage von Bildung. Man muss sich selbst mit der Welt in Beziehung setzen. Das ist nicht einfach, aber sehr bedeutsam.

Mein Eindruck ist, dass es bei der Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule überwiegend um die technischen Aspekte geht. Es hängt viel von der Eigeninitiative der Lehrer*innen ab, wie die das Thema sehen und angehen. Das wäre sicher verbesserungswürdig.

Wie erkennen Kinder und Jugendliche seriöse Quellen?

PHILIP KARSCH: Es ist wichtig einen Text vollständig zu lesen und zu überprüfen. Falls es zum Beispiel reißerische Schlagzeilen gibt, sollte man die hinterfragen. Darüber hinaus ist es sehr wichtig, die Quellen zu prüfen. Das wird heute allerdings immer schwieriger. Man kann zwar Zitate, die man gelesen hat, einfacher irgendwo im Internet eingeben. Aber man muss dann die Quelle, die man genannt bekommen hat, auch noch einmal prüfen. Wichtig ist herauszufinden: Was sind das für Autor*innen, die dort geschrieben haben? Wo kommen die her, wo kann man sie einordnen? Was schreiben die Autor*innen sonst? Zahlen und Fakten sollten im Text überprüft werden. Kinder und Jugendliche können auch darauf achten, wie aktuell ein Text ist. Wann ist der Artikel erschienen? Eventuell ist ein Text, der vor vier Jahren erschienen ist, heute schon gar nicht mehr relevant.

Eine große Rolle spielen bei Kindern und Jugendlichen heute Bilder und Videos. Sie haben den Anschein von Echtheit. Es ist aber sehr schwierig festzustellen, wo Bilder herkommen. Oft lässt sich nicht nachvollziehen, wann oder wo ein Foto aufgenommen wurde. Das ist aus medienpädagogischer Perspektive problematisch. Wenn ein Bild zum Beispiel manipuliert wurde, ist das nicht unbedingt erkennbar. Auch Erwachsene sehen das oft nicht oder erst auf den zweiten Blick. Es ist sinnvoll, Kindern und Jugendlichen beizubringen, dass sie Bildern gegenüber skeptisch sein sollten.

Wie erkennen Kinder und Jugendliche Fake News / Desinformation?

PHILIP KARSCH: Kinder und Jugendliche sollten lernen, dass nicht unbedingt nur die ersten Treffer bei einer Suche im Internet die gesuchten Informationen liefern oder geeignet sind.  Auch die „lautesten“ Kommentare sind nicht immer die „richtigen“. Zahlen in Artikeln sollten überprüft und die Quellen für die Zahlen angeschaut werden. Bei bestimmten aktuellen strittigen Themen geben manche Plattformen einen Hinweis, wie Inhalte einzuordnen sind. Darauf können Nutzende achten. Sinnvoll ist es auch, den Faktenfinder der tagesschau oder den Faktencheck von correctiv.org zu nutzen.

Auch die Sprache ist ein Indiz. Im Bereich der Verschwörungstheorien gibt es zum Beispiel sprachliche Narrative, die immer wiederkehren – zum Beispiel „die da oben“. Wenn ein bestimmter Sprachgebrauch genutzt wird, sollten die Alarmglocken klingeln.

Welche (politischen) Maßnahmen sind notwendig, um gegen Desinformation vorzugehen und Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, an seriöse Informationen zu gelangen?

PHILIP KARSCH: Plattformen sind bereits dazu aufgefordert, Desinformationen einzudämmen und Inhalte, die Hass und Hetze enthalten, zu löschen. Diese Sicherheitsmechanismen setzen allerdings bisher nur große Plattformen um. Und das leider mal mehr, mal weniger gut.
Neben der Definition von Regeln gegenüber Betreibern auf politischer Ebene ist wichtig, die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen zu stärken. Dazu müsste die universitäre Ausbildung der angehenden Lehrkräfte angepasst und Medienkompetenz stärker in den Lehrplänen implementiert werden. Dabei darf es nicht nur um didaktische Aspekte gehen, wie bestimmte Medien im Unterricht eingesetzt werden können, sondern es muss auch um medienkritische und medienethische Aspekte gehen. Für die Lehrenden müsste es regelmäßige Fortbildungen und mehr kollegialen Austausch zum Thema Medienkompetenz geben. Auch die finanzielle Förderung von bereits bestehenden geeigneten Projekten an Schulen wäre sinnvoll. Medienpädagogik sollte als eine Querschnittsaufgabe verstanden werden, die in allen Bereichen eingebaut werden kann und muss. Das Thema Nachrichtenkompetenz kann man zum Beispiel im Politikunterricht, im Deutschunterricht, Englischunterricht oder im Religionsunterricht thematisieren, das hat überall Anknüpfungspunkte. Dafür braucht es aber schon eine konkrete medienpädagogische Ausbildung. Es reicht nicht, dass Lehrende selbst Medien nutzen.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz für die Nachrichtennutzung?

PHILIP KARSCH: Mit dem „Großwerden“ von ChatGPT gibt es in der Öffentlichkeit die Wahrnehmung, dies sei eine künstliche Intelligenz, die alles kann – zum Bespiel mit mir sprechen. Die Anwendung verfügt sicher über einen großen Datensatz und wirkt sehr echt. Aber man sollte sich immer fragen, was das denn wirklich kann. Kindern und Jugendlichen sollte man vermitteln, dass eine künstliche Intelligenz nur so schlau sein kann wie die Datensätze, mit denen sie „gefüttert“ wird. Es ist sinnvoll, die Entwicklung künstlicher Intelligenz zu verfolgen und mit Kindern und Jugendlichen darüber zu sprechen. Man kann mit ihnen Einsatzmöglichkeiten ausprobieren und den Nutzen gemeinsam bewerten.

Welche Chancen bieten soziale Medien für den Journalismus / für Nachrichten, um Jugendliche zu erreichen?

PHILIP KARSCH: Ich beobachte, dass sich auch klassische Nachrichtenportale, Fernsehsender oder Printmedien in den Bereich social media begeben. Sie passen sich den Sehgewohnheiten von jungen Menschen an und veröffentlichen beispielsweise kurze Videos zu bestimmten Themen. Aus meiner Sicht sollte weiter viel Wert auf die Inhalte gelegt werden und die Form der Informationen nicht zu sehr angepasst werden. Es ist sicher eine Herausforderung neue Medien zu nutzen – vor der aber Journalismus immer wieder gestanden hat. 


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