Foto: juanmonino/iStock

Kinder- und Jugendpolitik

Passend für alle Familien?

Das Justizministerium hat im Januar Eckpunkte für eine Reform des Abstammungsrechts sowie des Sorge- und Umgangsrechts vorgelegt. Der Kinderschutzbund fordert schon lange Reformen in diesen teilweise veralteten Rechtsbereichen, damit endlich alle Kinder in den vielfältigen heute bestehenden Familienformen rechtlich gut abgesichert sind. Der Kinderschutzbund hat die Reformvorschläge genau gesichtet und ausgewertet. Leider können die vorgelegten Eckpunkte des Justizministers, trotz einiger Lichtblicke, bisher nicht überzeugen.

Kindeswohl aus dem Blick geraten: Die Elterninteressen stehen zu sehr im Fokus

Die Eckpunkte werden an vielen Stellen dem Anspruch, dass das Kindeswohl an erster Stelle stehen muss, nicht ausreichend gerecht. Vielmehr geht es zu oft vorrangig um die Abwägung der Elterninteressen. 

Besonders deutlich zeigt sich das bei den Reformvorschlägen zum Wechselmodell. Die Idee, künftig im Gesetz die gerichtliche Anordnung des Wechselmodells einzufügen, lehnt der Kinderschutzbund ausdrücklich ab. Das Wechselmodell kann bei einer passenden Umsetzung für Kinder ein gutes und geeignetes Betreuungsmodell sein. Es bedarf aber vieler Absprachen und Aushandlungen zwischen den getrenntlebenden Eltern, sodass ein hohes Maß an Einigkeit und guter Kommunikation zwischen den Erwachsenen notwendig ist, um dieses Modell im Sinne der Kinder zu leben. Gerade wenn Ex-Partner*innen sich aber schon nicht außergerichtlich oder im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs einigen können, kann davon ausgegangen werden, dass es an der notwendigen Kommunikations- und Einigungsfähigkeit zwischen den Eltern fehlt. Es ist dann nicht im Sinne der Kinder, in einem Modell zu leben, das die Eltern immer wieder vor neue gemeinsame Abwägungs- und Organisationsherausforderungen mit viel Streitpotenzial stellt. Das Interesse jedes Elternteils, möglichst viel Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, muss dann hinter das Kindeswohl zurücktreten. 

Lichtblicke: Neuregelung von Co-Mutterschaft und Anerkennung von Partnerschaftsgewalt

Insbesondere in zwei Bereichen sieht der Kinderschutzbund endlich erste Bewegung durch die Eckpunkte. Dass lesbische Paare künftig qua Ehe oder per Elternschaftsanerkennung ohne eine nachgeburtliche Adoption beide rechtliche Eltern werden können, ist lange überfällig und im Sinne der betroffenen Kinder. Denn so können ab Geburt zwei Eltern für das Kind vollumfänglich Sorge tragen. Hierfür hat der Kinderschutzbund sich lange eingesetzt. Gleichzeitig begrüßt der Kinderschutzbund, dass das Zwei-Eltern-Prinzip erhalten bleibt. Denn mehr rechtliche Eltern würden für Kinder auch mehr potenzielle Konflikte bedeuten. 

Der Kinderschutzbund begrüßt zudem ausdrücklich, dass der Schutz vor häuslicher Gewalt in Umgangs- und Sorgeverfahren verbessert werden soll. Gut ist, dass die Familiengerichte künftig etwaige Anhaltspunkte häuslicher Gewalt gegen das Kind, aber auch gegen den anderen Elternteil stets prüfen müssen. Das ist bisher im Bereich der Partnerschaftsgewalt oft noch nicht der Fall, obwohl Kinder von Gewalt in Familien immer mitbetroffen sind, auch wenn diese sich nicht unmittelbar gegen sie wendet oder sie bei der Gewaltanwendung nicht anwesend sind. Der Kinderschutzbund hofft, dass damit der Einfluss von Partnerschaftsgewalt auf Kinder künftig ausnahmslos anerkannt werden wird. 

Gefahr für Kinder: Konflikte zwischen den Eltern könnten zunehmen

Gesetze im Rahmen von Abstammungs-, Sorge- und Umgangsrecht müssen massiven Konflikten standhalten und diese schlichten. 

In den meisten Familien sind Ausverhandlungen einvernehmlich möglich und werden schon heute genutzt. Eine weitere rechtlichen Formalisierung braucht es in diesen Familien nicht. Einzige Ausnahme sind Regenbogenfamilien, die bisher rechtlich nicht gut abgebildet sind.

Werden in Familien aber keine einvernehmlichen Lösungen gefunden, ist ein Ausverhandeln im privaten Raum kaum möglich. Zudem birgt eine rechtsverbindliche Abmachung zwischen den Eltern die Gefahr, dass die Kinder nicht mehr gehört werden. Für solche Familien ist und bleibt das gezielte Eingreifen von qualifizierten und differenzierten familiengerichtlichen Verfahren notwendig, um insbesondere die Kinder zu schützen und ihre Interessen gegenüber den Erwachsenen durchzusetzen. 

In den Eckpunkten ist beispielsweise eine Elternvereinbarung vorgesehen, die zulässt, dass schon vor der Zeugung tagesgenau und rechtlich bindend geregelt wird, wann das Kind mit wem Umgang haben soll. Familien können schon heute solche Abmachungen mündlich und einvernehmlich schließen. Soweit Eltern und Kinder mit der Abmachung zufrieden sind, ist es nicht notwendig einen rechtsbindenden Vertrag einzugehen. Wenn aber jemand nicht mehr einverstanden ist, müssen solche Regelungen jederzeit und hürdenlos wieder geprüft werden können. 

Gerade die Kinder selbst brauchen hier die Option, ihre eigenen Wünsche einzubringen und Abmachungen der Erwachsenen auch mal in Frage zu stellen. Eine vorgeburtliche, vertragliche Abmachung zwischen den Eltern übergeht aber von vornherein, was das Kind will und braucht. Gerade im Bereich der Umgangsregelungen lassen diese und weitere Reformvorschläge die Gefahr erkennen, dass vermehrt über die Köpfe der Kinder hinweg entschieden werden kann. 

Wie geht es weiter?

Die Eckpunkte des Justizministeriums sollen zunächst den demokratischen Diskurs eröffnen. Einen konkreten Gesetzentwurf gibt es noch nicht. Somit gibt es auch noch viel Potenzial für Nachbesserungen und Anpassungen bis ein Gesetz steht. Der Kinderschutzbund wird das weitere Verfahren um die Reformvorschläge sehr genau und umfassend begleiten und die noch zu leise Stimme der Kinder immer wieder in den Mittelpunkt rücken.


Ausgabe 24-1

Schwerpunkt

In der digitalen Welt

Politik und Praxis

Kinder- und Jugendpolitik

Kinderschutz vor Ort

Mehr aus der DKSB-Praxis

Impressum