
Eine unsichtbare Gefahr
Cybergrooming ist die Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs über das Internet: Wie läuft Cybergrooming ab und was können Eltern tun, um ihre Kinder davor zu schützen?
Mike_15: Hi Liesa! Ich bin Mike. Bin auf deinem Profil gelandet, du scheinst auch gerne zu skaten. 😉
Liesa, 12 Jahre alt, erhält eine Nachricht von Mike, der vorgibt 15 zu sein. Was für Liesa als scheinbar harmloser Chat beginnt, entwickelt sich schnell zu einer prekären Situation für die 12-Jährige. Mike gewinnt systematisch Liesas Vertrauen, um sexuelle Bilder und Videos von ihr zu erhalten.
Was ist Cybergrooming?
Cybergrooming ist eine Form der sexualisierten Gewalt gegen Kinder, bei der Täter*innen1 über das Internet Kontakt zu Minderjährigen aufnehmen, um sie später unter Ausnutzung von Unerfahrenheit, Abhängigkeit oder unter Zwang on- oder offline in sexuelle Interaktionen zu verwickeln. Der Begriff „Grooming“ bezieht sich auf den schrittweisen Prozess der Manipulation zum Zweck des sexuellen Missbrauchs. Dabei muss es nicht zwangsläufig zu tatsächlichen sexuellen Handlungen kommen, bereits die Absicht des Täters genügt. In Deutschland ist Cybergrooming gegenüber Kindern nach § 176b des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Darunter fällt zum Beispiel das Versenden pornografischen Materials oder die Aufforderung an das Kind, sexuelle Bilder oder Videos von sich zu erstellen (§ 184b StGB) oder sexuelle Handlungen online an sich selbst oder offline an dem Täter vorzunehmen. Auch bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren ist Cybergrooming strafbar, allerdings nur, wenn es dabei zur Herstellung und Versendung von sexuellem Bild- oder Videomaterial der Jugendlichen kommt.
Wie gehen Täter*innen vor?
Täter*innen kontaktieren Minderjährige bevorzugt über soziale Medien, Chat-Foren oder Online-Games, zum Teil unter falschen Profilen. Der nachstehende, fiktive Chatverlauf zwischen Mike und Liesa zeigt beispielhaft, wie ein Cybergrooming-Prozess ablaufen könnte (angelehnt an das Sexual Grooming Model, Winters & Jeglic, 2017).
Kontaktaufnahme und Annäherung
Mike_15: Hi Liesa! Ich bin Mike. Bin auf deinem Profil gelandet, du scheinst auch gerne zu skaten. 😉
Liesa_12: Echt? Wie cool. Leider gibt es bei mir nicht so viele Skateparks.
Mike_15: Wo genau wohnst du denn? Ich kenn einige coole Spots. Allerdings verrate ich meine Geheimtipps nur, wenn du mir ein bisschen mehr über dich verrätst. 😛 Hast du einen Freund?
Liesa_12: Nee, habe ich nicht. Warum fragst du?
Mike_15: Nur neugierig. Du bist ziemlich hübsch. Wie wär‘s, wenn du mir ein Bild von dir schickst? Kannst mir auch bei WhatsApp schreiben.
Mike hebt bereits bei der Kontaktaufnahme Gemeinsamkeiten hervor, um eine Verbindung zu Liesa herzustellen. Anschließend versucht er, Liesas Vertrauen zu gewinnen. Er passt seinen Schreibstil altersgerecht an, macht Komplimente und lenkt das Gespräch schnell auf eine persönliche Ebene. Ein Warnzeichen ist, dass er zu einem privaten Messenger mit Nachrichtenverschlüsselung wechseln möchte.
Entdeckungsrisiko minimieren
Mike_15: Ich schreib dir heute Abend wieder, meine Eltern nerven sonst. Dann sind wir ungestörter, auch wegen Fotos.😉 Wie ist das eig bei deinen Eltern?
Um anonym zu bleiben, erfragt Mike im Verlauf des Kontaktes Risiken der Entdeckung. Häufig üben die Täter*innen auch emotionalen Druck aus oder äußern Drohungen (zum Beispiel die Veröffentlichung intimer Fotos), falls die Betroffenen ihren Forderungen nicht nachkommen. Oft versuchen die Täter*innen auch, die Betroffenen von wichtigen Bezugspersonen zu isolieren, um das Entdeckungsrisiko zu minimieren.
Einführen sexueller Inhalte
Mike_15: Lass mal nen Deal machen – ich schick dir ein Foto ohne Shirt und bekomme dafür eins von dir zurück. 😘
Liesa_12: Weiß net. Hab sowas noch nie gemacht.
Mike_15: Komm schon, ist doch nur ein Bild. Was soll schon passieren? Du kannst mir vertrauen.
Mike drängt unter Verweis auf seine Vertrauenswürdigkeit darauf, intime Bilder zu erhalten. Kommt es zum Austausch sexueller Inhalte, so werden diese primär durch den Täter initiiert. Häufig werden sexuelle Nachrichten, Bilder oder Videos ausgetauscht und in einigen Fällen fragen die Täter sogar nach realen Treffen, bei deren Realisierung es in fast allen Fällen zu sexualisierter Gewalt kommt.
Umgang mit persönlichen Daten
Eine frühzeitige Aufklärung über einen sensiblen Umgang mit persönlichen Informationen ist ein integraler Bestandteil der Prävention. Kinder sollten im Internet niemals persönliche Daten wie Adresse oder Telefonnummer an Fremde weitergeben. Bei vielen Plattformen kann das Profil unter den Privatsphäre-Einstellungen auf „privat“ gestellt werden, sodass das Konto zusätzlich geschützt und nicht von Fremden aufgerufen werden kann. Kinder sollten auch ermutigt werden, fragwürdige Chatanfragen von Fremden zu blockieren bzw. zu melden und den Kontakt zu Chatpartnern abbrechen.
Was können Eltern tun?
Die Nutzung des Internets ist zeitgemäß und sollte prinzipiell nicht negativ bewertet werden. Wichtig ist vielmehr, Kinder sensibel und auf Augenhöhe über Cybergrooming zu informieren. Eltern sollten nicht allein auf Kontrolle und strikte Verbote setzen, sondern einen aufklärenden und offenen Umgang mit der Internetnutzung ihrer Kinder pflegen. Voraussetzung dafür ist, dass Eltern selbst über eine zeitgemäße Medienkompetenz verfügen und über aktuelle Entwicklungen informiert sind. Darüber hinaus ist es wichtig, auch über schambehaftete Themen wie Dating und Sexualität zu sprechen. Eine Tabuisierung dieser Themen erhöht das Risiko, dass sich Betroffene keinem anvertrauen und ein Missbrauch somit unentdeckt bleibt.
Was tun, wenn bereits etwas passiert ist?
Wichtig ist eine Weitergabe möglichst vieler Informationen an die Polizei, zum Beispiel in Form von Screenshots oder Audiodateien von (Sprach-)Nachrichten auf den Geräten der Betroffenen. Diese können später als Beweismittel dienen. Eine Strafanzeige kann ab dem Zeitpunkt gestellt werden, ab dem der Versuch der Herstellung eines sexuellen Kontaktes nachweisbar ist. Darüber hinaus können auch betroffenensensible Beratungsstellen weiterhelfen (siehe Infobox).
1 Aktuelle Studien zeigen, dass es sich um überwiegend männliche Täter handelt. Es gibt jedoch auch weibliche Täterinnen.
Christine Weber und Ronja Zannoni, Psychologinnen/wissenschaftliche Mitarbeiterinnen Cybercrimeforschung,
Bundeskriminalamt Wiesbaden