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Schwerpunkt

Trennungs­kinder verstehen

Damit Kinder die Trennung ihrer Eltern gut überstehen, ist es entscheidend, wie Eltern mit der Trennung umgehen.

Trennungen und Scheidungen ihrer Eltern gehören für viele Kinder zum Leben dazu. Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2022 rund 116.000 neue Trennungskinder, nicht mitgerechnet die große Zahl jener mit unverheirateten Eltern, die getrennte Wege gehen. Jedes fünfte Kind lebt heute zusammen mit einer oder einem Alleinerziehenden, meistens, weil sich seine Eltern getrennt haben. Aber was geht in Kindern vor, wenn ihre Eltern sich trennen, und was können wir tun, ihnen dabei zu helfen, diese für alle Beteiligten schwierige Zeit gut zu überstehen? Um Kinder wirklich zu verstehen und ihnen helfen zu können, müssen wir ihre und nicht, wie es häufig geschieht, die Perspektive der Erwachsenen einnehmen. Wie also kann es gelingen, dass diese Kinder trotz Trennung der Eltern glücklich aufwachsen?

Kinder sind Beziehungswesen

Jedes Kind wächst in Beziehungen und durch Beziehungen. Die wichtigste Rolle nehmen dabei, zumindest bis zum Eintritt in die Pubertät, seine Eltern ein. Zu ihnen sucht das Kind schon kurz nach seiner Geburt eine feste Bindung, um sich bei ihnen sicher und geborgen zu fühlen. Hinzu kommen weitere elementare Bedürfnisse, die sich aus der Sicht eines Kindes wie folgt beschreiben lassen: „Bin ich willkommen? Hört ihr mich? Seht ihr mich? Seid ihr immer da, wenn ich euch brauche? Wenn ihr nicht da seid, finde ich euch wieder? Bin ich wertvoll für euch?“ Werden diese Bedürfnisse angemessen berücksichtigt und stoßen sie auf Resonanz, wird ein Kind selbstsicher und stark genug, um auch mit inneren und äußeren Konflikten angemessen umgehen zu können. 

Die Trennung der Eltern erzeugt Verlustängste

Wenn auch nicht beabsichtigt, werden die genannten grundlegenden Bedürfnisse eines Kindes bei der Trennung seiner Eltern wieder aufgerufen. 
„Werde ich weiterhin gehört und gesehen? Kann ich mich bei mir zuhause immer noch sicher und geborgen fühlen? Bin ich noch wertvoll für meine Eltern?“ Auch noch andere Trennungs- und Verlustängste entstehen: „Ist jemand zuhause, wenn ich aus der Kita, dem Hort oder der Schule nach Hause komme?  Wenn der eine geht, warum nicht auch die andere? Zu wem muss ich jetzt halten, wenn sie sich um mich streiten?“ 

Die meisten Kinder, deren Eltern sich trennen, fühlen sich zunächst allein gelassen, einsam und vor allem ohnmächtig und hilflos. Denn sie müssen die Erfahrung machen, dass ihre Eltern, unabhängig von ihrem Wunsch, sie mögen doch zusammenbleiben, an ihrer Trennungsabsicht festhalten. Um sich dies zu erklären, entwickeln Kinder Schuldgefühle: „Kann es sein, dass sie sich meinetwegen trennen? Habe ich ihnen zu viele Sorgen gemacht?“ Gerne reden darüber wollen Kinder meist nicht, oft aus Loyalität, um ihre Eltern mit ihren Problemen nicht noch mehr zu belasten. Indirekt zeigen sie ihre Ohnmachtsgefühle eher über psychische und körperliche Symptome. 

Um ihren Ängsten zu begegnen ist also wichtig, dass die Eltern von Anfang an Verlustängste und Schuldgefühle bei ihren Kindern ansprechen. „Dass wir uns trennen, hat nichts mit euch zu tun. Es liegt nur an uns. Und wir werden alles versuchen, weiterhin immer für euch da zu sein, wenn ihr uns braucht.“ Wenn Eltern ihren Kindern mitteilen sich zu trennen, braucht es einen solchen Pakt, den sie mit ihren Kindern schließen, und an den ihre Kinder sie später immer wieder erinnern können. 

Die Folgen von Trennung und Scheidung

Dass sich das kindliche Erleben von Trennung und Scheidung auf das spätere Leben von Erwachsenen auswirkt, liegt auf der Hand. Denn kein Kind wird einfach „vergessen“, dass sich seine Eltern getrennt haben. Das Zusammenleben in der Familie ging mit dem Auszug des Vaters oder der Mutter nach oft jahrelangen Streitigkeiten unwiderruflich verloren. Häufig blieb ein zunächst enttäuschter, trauriger oder wütender Elternteil zurück. Neue Partner*innen der Eltern tauchten auf, vielleicht auch neue Geschwister. Für Trennungskinder stellen sich zum Zeitpunkt der Trennung ihrer Eltern und danach eine Menge neuer Entwicklungsaufgaben, mit denen umzugehen sie jetzt lernen müssen. Entscheidend dafür, dass sie die Trennung ihrer Eltern gut verarbeiten können, ist dann weniger die Trennung selbst, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, sondern wie ihre Eltern damit umgehen. Sämtliche vorhandene wissenschaftliche Studien legen nahe, dass bei der Verarbeitung der Trennung oder Scheidung ihrer Eltern, viele Faktoren eine Rolle spielen – positiv wie negativ. 

Hat das Kind von Geburt an in der Beziehung zu seinen Eltern Sicherheit und Geborgenheit erlebt, hat es sich von ihnen anerkannt und wertgeschätzt gefühlt, wird es von diesem in seiner Kindheit erworbenen „Schatz“ auch weiterhin profitieren können. Aber auch die Persönlichkeitseigenschaften der betroffenen Kinder und Jugendlichen spielen eine Rolle. Einige waren vielleicht schon immer ängstlicher, sensitiver oder verloren schnell den Mut, wenn ihnen etwas Unvorhergesehenes dazwischenkam. Auch Geschwister verarbeiten die Trennung ihrer Eltern oft ganz unterschiedlich. Weder lässt sich behaupten, dass eine Trennung oder Scheidung gänzlich folgenlos bleibt, noch dass sich zwangsläufig langfristige und für das Kind schädliche Folgen ergeben werden. 

Geradezu toxisch wirken sich, worin sich Scheidungsforscher einig sind, langanhaltende Loyalitätskonflikte aus, in die Kinder von ihren Eltern hineingezogen werden. „War es beim Papa denn schöner als bei mir? Gefällt dir der neue Freund der Mama eigentlich?“ Darauf können Kinder keine Antwort finden. Geben sie dennoch eine Antwort, ist sie immer falsch, weil sie sich entweder gegen den einen oder die andere richtet. In Fällen von Hochstrittigkeit, wenn Eltern ihre eigenen Konflikte, ihre Enttäuschungen und Gefühle von Entwertung vor Gerichten austragen, erleben sich Kinder noch einmal machtlos und ohnmächtig. Der „Kampf um das Kind“, auch darin ist sich die Scheidungsforschung einig, geht mit der ungünstigsten Prognose hinsichtlich der Spätfolgen von Trennung und Scheidung einher.

Gut dokumentierte negative Folgen einer Trennung oder Scheidung können sich auch im Beziehungsverhalten einer eigenen späteren Partnerschaft bemerkbar machen. So gilt als belegt, dass Kinder aus Scheidungsfamilien ein höheres Scheidungsrisiko haben, das etwa eineinhalb so hoch ist wie das von Kindern aus intakten Ehen. Bindungsängste bleiben vorhanden und werden oft von einer Generation zur anderen weitergegeben. Sie können dazu führen, als junge*r Erwachsene*r keine Beziehung eingehen zu wollen, aus Angst, dass sie wieder zerbricht. Auch kommt es vor, dass ein negatives Selbstbild von den Eltern übernommen wird, kein*e gute*r Partner*in für andere oder später keine guten Eltern für sein Kind sein zu können. Bei anderen führt die Trennung der Eltern dazu, in einer Partnerschaft und auch darüber hinaus besonders konfliktscheu zu sein, aus Angst, bei auftretenden Konflikten den anderen oder die andere zu „verlieren“. Auch das Gegenteil kann der Fall sein, ständig Konflikte auf der Beziehungsebene zu suchen, weil man es in seiner Kindheit und Jugend nicht anders gekannt hat.

Co-Parenting gibt dem Kind das Vertrauen in seine Eltern zurück 

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Wie sämtliche Langzeitstudien gezeigt haben, spielt eine entscheidende Rolle, dass Kinder die Trennung ihrer Eltern gut überstehen, das sogenannte „Co-Parenting“. Damit ist die Fähigkeit gemeint, dass Eltern in der Lage sind, ihre eigenen Konflikte, die zu ihrer Trennung geführt haben, gegenüber ihrer Elternrolle abzugrenzen: „Unabhängig davon, dass wir uns nicht mehr so gut verstehen wie früher, sind wir weiterhin gemeinsam für euch da.“

Solches Co-Parenting gelingt heute immer mehr Eltern. Bei Zweidrittel der betroffenen Kinder kommt es, wie nahezu sämtliche Studien zeigen, im Erwachsenenalter zu keinen nennenswerten Spätfolgen. Im Gegenteil. Sofern es den Eltern gelingt, ihre Konflikte vom gemeinsamen Umgang mit ihren Kindern abzugrenzen, um ihnen weiterhin das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Selbstwirksamkeit zu vermitteln, wenn sie sie aktiv teilhaben lassen an gemeinsamen guten Lösungen, können gerade diese Kinder und Jugendlichen sogar langfristig profitieren. Nicht selten werden sie zu besonders verantwortungsbewussten, mitfühlenden, belastbaren, zielstrebigen und sensiblen Erwachsenen.

Die wichtigsten Schutzfaktoren im Falle von Trennung und Scheidung

Zusammenfassend seien im Folgenden noch einmal jene Faktoren angeführt, die Kinder und Jugendliche im Falle der Trennung ihrer Eltern wie unter einen Schutzschirm stellen.

  • Weiterhin für Verlässlichkeit und Geborgenheit sorgen: „Wir sind weiterhin beide für dich (euch) da. Gewohnte Rituale bleiben bestehen.“ 
  • Anerkennung und Selbstwert vermitteln: „Du bist für uns genauso wertvoll wie vor der Trennung: So wie du bist, bist du gut und dafür lieben wir dich.“ 
  • Resonanz zeigen: „Du darfst Fragen stellen, wir sind immer für dich da.“ 
  • Schuldgefühlen begegnen: „Egal, was zu unserer Trennung geführt hat: Dich trifft keine Schuld.“ 
  • Selbstwirksamkeit fördern: „Dein Denken und Handeln ist uns wichtig. Wir beziehen es in alle unsere Überlegungen mit ein.“ 
  • Loyalitätskonflikte vermeiden: „Du bist unser gemeinsames Kind. Wir wollen dich mit unseren Konflikten weder belasten noch dich in sie einbeziehen.“ 
  • Die Zukunft zählt: „Was passiert ist, ist passiert. Jetzt aber wollen wir nicht immer nur zurücksehen, sondern für eine gute Zukunft sorgen. Sie gemeinsam mit dir liebevoll, freundlich und angemessen zu erleben und zu gestalten, dafür wollen wir alles tun.“

Claus Koch

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Claus Koch, Dr. phil., Diplom-Psychologe, ist Mitbegründer des Pädagogischen Instituts Berlin, Autor und Publizist. Als Experte für Bindungsstörungen arbeitet er seit Jahren in vielen Projekten zusammen mit Eltern, Erzieher*innen und Lehrer*innen. Claus Koch hat zahlreiche Fachartikel und Bücher zu Kindheit, Jugend und Bindungstheorie veröffentlicht. Zuletzt erschien sein Buch „Das Recht des Kindes, unglücklich zu sein. Ängste, Frust und Co. zulassen und verstehen“. 

clauskoch.info

Ausgabe 23-4

Schwerpunkt

Trennung und Scheidung

Politik und Praxis

Kinder- und Jugendpolitik

Kinderschutz vor Ort

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