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Kinder- und Jugendpolitik

Bildungssystem in der Krise

Fachkräftemangel erfordert gemeinsames Handeln von Bund, Ländern und Kommunen

Die öffentliche Aufmerksamkeit wird seit einigen Jahren von einer Reihe sich ablösender Krisen beansprucht: Finanzkrise, Coronakrise, Zuzug von Geflüchteten, Klimakrise, dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und dem Nahost-Konflikt. Vor dem Hintergrund eines permanenten Krisenmodus wird die tiefgehende Krise unseres Bildungssystems gesellschaftlich zu wenig beachtet. Anhand zentraler Kennzahlen lässt sich belegen, dass sich seit einigen Jahren negative Entwicklungen im Bildungsbereich verschärfen, die ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten erforderten: 
Die Rechtsansprüche auf frühkindliche Förderung in einer Kita oder in der Kindertagespflege ab dem vollendeten ersten Lebensjahr und auf einen Kitaplatz für jedes Kind ab dem dritten Geburtstag werden in der Praxis nur unzureichend erfüllt. 

Die Trends der internationalen wie nationalen Schulleistungsstudien belegen, dass sich seit einigen Jahren die erreichten Kompetenzen wieder verschlechtern und der Anteil leistungsschwacher Schüler*innen zunimmt. 
Die Ergebnisse zeigen zudem, dass sich in Deutschland seit 2011 die hohe Abhängigkeit des Lernerfolgs von der sozialen Herkunft der Kinder wieder verstärkt. 
Im Jahre 2021 haben rund 47.000 Schüler*innen die Schule ohne einen Abschluss verlassen, damit ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Anzahl der Schüler*innen ohne Schulabschluss zu verringern.  
Kinder aus zugewanderten Familien, deren Anzahl kontinuierlich ansteigt, erreichen in allen Bereichen deutlich geringere Kompetenzen als Schüler*innen ohne Zuwanderungshintergrund. Diese Unterschiede haben sich in den vergangenen Jahren erkennbar vergrößert. 

Wachsender Bedarf an qualifiziertem Personal bei zurückgehendem Angebot

Es besteht Einigkeit darüber, dass Kitas und Schulen mehr gut ausgebildetes Personal benötigen, um den pädagogischen Herausforderungen gerecht zu werden. Hier zeigen jedoch alle aktuellen Berechnungen, dass zwischen dem vorhandenen und zukünftigen Personalbedarf sowie dem zur Verfügung stehenden Personalangebot in den Bereichen früher und schulischer Bildung eine wachsende Kluft besteht:
Der Geburtenanstieg in den vergangenen Jahren und die nach wie vor nicht erfüllten Elternbedarfe erfordern vor allem in Westdeutschland deutlich mehr Kita-Plätze als bisher. Damit fehlen bis 2025 voraussichtlich zwischen 20.400 und 72.500 Fachkräfte, die nicht allein durch Abgänger*innen aus den entsprechenden Ausbildungsgängen aufzufangen sein werden.

Der beschlossene Rechtsanspruch auf ein Ganztagsangebot für Kinder im Grundschulalter ab dem Schuljahr 2026/27 ist mit einem wachsenden Bedarf bis 2029/30 im Umfang von 500.000 bis 700.000 zusätzlichen Plätzen verbunden. Daraus ergibt sich für Westdeutschland je nach Betreuungsschlüssel ein Personalbedarf zwischen 43.500 und 58.200 zusätzlichen Fachkräften. Für Ostdeutschland mit einer besser ausgebauten Ganztagsinfrastruktur wird ein Personalmehrbedarf von bis zu 7.400 Fachkräften berechnet. 

Laut Modellrechnungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Lehrkräfteeinstellungsbedarf und -angebot stehen in Deutschland bis 2035 einem durchschnittlichen jährlichen Bedarf von ca. 34.100 allgemeinbildenden und beruflichen Lehrkräften voraussichtlich nur 32.500 Lehrkräfte nach Abschluss des Referendariats gegenüber. Damit fehlen laut KMK-Prognosen bis zum Jahr 2035 insgesamt ca. 23.800 Lehrkräfte mit erheblichen regionalen, schulart- und fachspezifischen Unterschieden.

Da sich die Bedarfsprognosen der KMK grundsätzlich auf die gegenwärtigen Rahmenbedingungen beziehen, wird der zusätzliche Bedarf an Lehrkräften für den weiteren Ganztagsausbau, die verstärkte Umsetzung inklusiver Maßnahmen und mehr Personal für Schulen in herausfordernden Lagen nicht mitberücksichtigt. Laut einer vom Verband für Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegebenen Studie von Klaus Klemm ergibt sich daraus bis 2025 ein weiterer Bedarf von ca. 73.000 Lehrkräften. Hinzu kommen ca. 24.000 zusätzliche Lehrkräfte, die für die geflüchteten Kinder aus der Ukraine benötigt werden. Weitere Nachfrage nach pädagogischem Personal ergibt sich zum Beispiel durch den wachsenden Bedarf an multiprofessionellen Teams und die Umsetzung der Digitalisierung. 

Aus den verschiedenen Prognosen wird deutlich, dass die Länder in den vergangenen Jahren deutlich zu wenig Lehrkräfte ausgebildet haben. Hier sind verschiedene Reformen im Gespräch, um die Attraktivität des Lehramtsstudiums zu erhöhen und neue Ausbildungswege zu eröffnen. Wenn überhaupt, werden dabei aber nur langfristig Effekte zu erwarten sein. 

Gemeinsames Handeln von Bund, Ländern und Kommunen erforderlich

Klar ist, dass die großen Herausforderungen dieser Bildungskrise nur dann bewältigt werden können, wenn Bund, Länder und Kommunen eng zusammenarbeiten. Ein Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern wie in den vergangenen Jahren und auf dem geplatzten Bildungsgipfel am 14./15. März 2023 ist wenig zielführend. 

Seit der Föderalismusreform 2006 ist Bildungspolitik weitgehend Ländersache. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Herausnahme des Bundes aus dem Bildungsbereich allein aus finanziellen Gründen nicht praktikabel ist.

Auch wenn vor allem auf Länderseite betont wird, dass rasches Handeln nicht auf strukturelle Reformen warten könne, wird es höchste Zeit, zu einer neuen, realistischen Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen für den Schulbereich zu kommen. Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt sicherlich nicht nur von ihrer Verteidigungsfähigkeit ab, für die erhebliche zusätzliche Mittel bereitgestellt wurden, sondern vor allem von einem leistungsfähigen und gerechten Bildungssystem. 


Ausgabe 23-4

Schwerpunkt

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