Politik und Praxis

Sicher durch Tracking?

Tracking suggeriert Eltern Sicherheit. Aber es kann auch die Kinderrechte einschränken – und sich auf die kindliche Entwicklung auswirken.

Draußen regnet es, während eine Mutter mit ihrem Sohn in einem Berliner Café Kakao schlürft. Jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, ist das Gewusel vom Kiezflohmarkt draußen zu hören. „Wo ist eigentlich Kim?“, erkundigt sich das Kind nach seiner jüngeren Schwester. Die Mutter holt ihr Smartphone aus der Tasche, hält es ihm hin und antwortet mit entspannter Stimme: „Hier, schau selbst nach, wo sie gerade ist. Sie wollte noch bei den Ständen herumstöbern.“ Auf dem Bildschirm erkennt der Junge einen roten Punkt auf einer Straßenkarte, der sich langsam in einer der Parallelstraßen bewegt. Unbekümmert widmen sich die beiden wieder ihren Tassen. 

Neben Smartphone und Tablet gehören in manchen Familien auch Smartwatches, GPS-Tracker für Schlüsselanhänger oder Schuhsohlen zur technischen Ausstattung. Für viele Eltern kommt das Thema erstmals auf, wenn ihre Kinder allein zur Schule gehen. Auf dem Smartphone können Eltern genau verfolgen, ob das Kind den abgesprochenen Schulweg nimmt und am Ziel ankommt. Diese praktische technische Lösung befriedigt das elterliche Bedürfnis nach der Sicherheit ihrer Kinder. Auch den Kindern selbst kann so ein Gefühl von Sicherheit und schneller Erreichbarkeit der Eltern im Notfall vermittelt werden. 

Ob es sinnvoll ist, den Standort des Kindes zu überwachen, ist aus mehreren Gründen zweifelhaft. Dr. Stephan Dreyer forscht am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut im Projekt „Aufwachsen in digitalen Medienumgebungen“ unter anderem zu den Aspekten des GPS-Trackings. Er erklärt, dass sich die meisten Eltern durchaus bewusst seien, dass diese Form der Überwachung nur eine vermeintliche Sicherheit suggeriert, denn ob das Kind tatsächlich dort ist, wo das GPS-Signal vorgibt, oder ob es ihm gut geht, könne ein Gerät nicht übermitteln. „Und wenn tatsächlich etwas passiert – etwa, dass das Kind einen Unfall hat oder von einer fremden Person angesprochen oder gar entführt würde – ist diese Form der elterlichen Überwachung wenig hilfreich“, betont Dreyer. Fraglich sei zu dem, was mit den Daten, die bei Diensteanbietern gespeichert werden, passiere. Bei der Nutzung solcher Dienste bestehe immer das Risiko, „dass Dritte sich ebenfalls Zugang zu der Standortüberwachung verschaffen können“, mahnt Dreyer. Manche Geräte sammeln neben den GPS-Daten noch weitere Daten, etwa Bilder, Sprachaufzeichnungen oder App-Nutzungsverhalten. Eltern sollten genau prüfen, was mit den Daten geschieht.

Ob auf dem Flohmarkt oder dem Schulweg: Für die Entwicklung zu Selbständigkeit und Selbstsicherheit ist es enorm wichtig, dass Kinder lernen, sich zunehmend allein im öffentlichen Raum zu bewegen. Dafür ist es notwendig, mit Kindern zu besprechen, wie das geht – auch unabhängig von jeglicher Technik. Verbindliche Absprachen und gegenseitiges Vertrauen sind für die Eltern-Kind-Beziehung von sehr großer Bedeutung. Eine Überwachung der Kinder sollte keinesfalls ohne ihre Kenntnis durchgeführt werden. Auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre.

Für die Autonomieentwicklung von Kindern kann das GPS-Tracking negative Potentiale bergen, sagt Dreyer: „Selbstbestimmte Räume zu finden, zu entdecken und sich dort frei entfalten zu können, wird durch Tracking erschwert.“ Statt sich ausschließlich auf technische Geräte und die ständige elterliche Erreichbarkeit zu verlassen, sollten Kinder nach wie vor lernen, eigene Entscheidungen zu treffen.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

Eltern tracken ihre Kinder – ist das heute selbstverständlich? Clara von der Heydt, Referentin für Medienpädagogik im Projekt #Kinderrechte digital leben! vom Kinderschutzbund Landesverband Thüringen e.V. erinnert daran, dass die Kinderrechte immer mitgedacht werden müssen.

Foto: Jana Strittmatter

Was bedeutet es, wenn Eltern ihre Kinder tracken? 

CLARA VON DER HEYDT: Setzen Eltern Tracking- oder Überwachungstechnologien ein, müssen sie zwischen den Persönlichkeitsrechten der Kinder und den Schutz- und Förderrechten der Eltern abwägen. Viele Eltern möchten wissen, welche Apps und Spiele ihre Kinder nutzen und sie vor den Gefahren schützen. Durch das Tracking wird jedoch die Privatsphäre von Kindern und ihre Selbstständigkeit eingeschränkt. Kein technischer Schutz ist zu 100% sicher: eine Smartwatch kann abgenommen werden, der Akku kann leer sein, Medieninhalte können auf den Geräten von Freund*innen konsumiert werden. Statt sich mit Technik zu beruhigen, sollten Eltern Vertrauen zu ihren Kindern aufbauen und mit ihnen im Gespräch bleiben. 

Warum sind GPS-Tracker in Smart-Watches so beliebt und werden von Eltern oft unkritisch gesehen?

CLARA VON DER HEYDT: Smartwatches mit GPS-Tracker können ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Eltern verfolgen nach, wo ihre Kinder sich aufhalten – zum Beispiel, wenn sie zu spät von der Schule nach Hause kommen. Ein Blick aufs Handy und die Eltern können sehen: dem Kind ist nichts zugestoßen, es trödelt nur auf dem Nachhauseweg. Einige Eltern berichten, dass sie ihren Kindern dadurch mehr Freiräume geben. 

Der Einsatz von Tracking-Tools geht aber auch mit der Übermittlung personenbezogener Daten an die Anbieter*innen einher. Eltern sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Daten ihrer Kinder gespeichert werden. Die Datenschutzerklärungen der Anbieter sind oft unzureichend und intransparent.

Welche Kinderrechte werden unter Umständen durch das Tracking verletzt?

CLARA VON DER HEYDT: Die digitale Überwachung von Kindern sollte das Recht des Kindes auf Privatsphäre achten und nicht routinemäßig, wahllos oder ohne das Wissen des Kindes erfolgen. Sie sollte im Einklang mit den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern stehen – ein jüngeres Kind braucht mehr Schutz im digitalen Raum. Besonders wichtig ist, dass Kinder mitentscheiden dürfen, ob die Eltern Tracking-Tools nutzen. Das Kinderrecht auf Privatsphäre im digitalen Raum zu wahren stellt Eltern oft vor Schwierigkeiten: Kinder können im Netz mit Inhalten konfrontiert werden, die nicht für sie bestimmt sind, wie zum Beispiel mit Gewaltdarstellungen, Pornografie oder Horror. Auch Cybermobbing, Cybergrooming oder Desinformationen sind ein Risiko. Technologien, die die Online-Aktivität von Kindern überwachen, können Kinder allerdings massiv in ihrer Freiheit und Privatsphäre einschränken und sie beispielsweise daran hindern, Beratungsstellen anzusprechen oder nach sensiblen Informationen zu suchen.

Was sagen Kinder dazu, dass ihre Eltern sie tracken und ihre Smartphones überwachen?

CLARA VON DER HEYDT: Was Kinder dazu sagen, kann man in einigen unserer „Kinderstimmen“ nachlesen. Dies sind Zitate von Kindern, die wir, mit Einverständnis der Kinder, in anonymisierter Form veröffentlichen. Kinder haben aber durchaus auch Argumente für die Überwachung: Sie fühlen sich sicherer und dürfen digitale Medien früher selbstständig nutzen.

Mehr Kinderstimmen, Informationen zum Projekt und Material zum Download unter:

kinderrechte-digital-leben.de


Ausgabe 23-4

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