Foto: hakase_/istock

Politik und Praxis

Gemeinsam gegen Kinderarmut

Kinderarmut in Deutschland bedeutet, nicht dabei sein zu können, wenn das Geld für die Klassenreise, den Eintritt ins Museum oder die neuen Sportschuhe nicht mehr reicht. Es heißt weniger Möglichkeiten, weniger Chancen und oftmals auch stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden.

Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, fordert der Kinderschutzbund als Teil des Bündnisses KINDERGRUNDSICHERUNG seit über 10 Jahren die Einführung einer echten Kindergrundsicherung. Die Kindergrundsicherung hat es in viele Wahlprogramme und auch in den Koalitionsvertrag der Ampelkoalition geschafft. 

Der Kinderschutzbund setzt sich seit Jahrzehnten in seiner Arbeit, sowohl in seinen Einrichtungen und Diensten vor Ort als auch in der politischen Interessenvertretung, für eine Reform der bestehenden monetären Leistungssysteme für Kinder ein. Denn der Kinderschutzbund versteht unter Schutz für Kinder und Jugendliche auch den Schutz vor einem Aufwachsen in Armut.

Dabei erkennt der Kinderschutzbund Armut als systemisches Problem an und geht nicht vom Verschulden Betroffener aus. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass die überwältigende Mehrheit der Eltern, egal aus welcher Einkommensschicht, in aller Regel das Beste für ihre Kinder wollen. Dass die staatliche Unterstützung auch bei den Kindern ankommt, ist kein Wunschdenken, sondern inzwischen umfassend empirisch belegt und wird uns auch aus unserer Praxis gespiegelt. Dabei ist dem Kinderschutzbund klar, dass es neben besseren monetären Leistungen immer auch bessere Betreuungs- und Unterstützungsangebote für Familien braucht, um Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen. Beides kann aber nur Hand in Hand funktionieren und darf deswegen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Kindergrundsicherung versteht der Kinderschutzbund als eine vollumfassende Reform des monetären Leistungssystems.

Der Kinderschutzbund war 2009 Mitbegründer des Bündnisses KINDERGRUNDSICHERUNG, das inzwischen aus 20 Verbänden und 13 unterstützenden Wissenschaftler*innen besteht und sich für eine echte und armutsverhindernde Kindergrundsicherung einsetzt. Der Kinderschutzbund koordiniert dieses Bündnis seit vielen Jahren und bringt sich sehr aktiv in die Diskussionen um eine Kindergrundsicherung ein. Er hat das Vorhaben der Ampel-Koalition, eine Kindergrundsicherung einzuführen, ausdrücklich begrüßt, weil die aktuellen Leistungssysteme der Familienförderung unzureichend sind. Doch das im Referentenentwurf präsentierte Ergebnis ist ernüchternd.

Kinderschutzbund-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen äußerte sich unmittelbar nachdem der Referentenentwurf vorlag öffentlich: 

„Das, was die Bundesregierung vorschlägt, ist enttäuschend. Das ist keine Kindergrundsicherung. Es ist ein gutes Signal, dass die schwierige Situation von Alleinerziehenden in den Fokus genommen wird.  Darüber hinaus bleibt das Konzept aber mutlos und schafft nicht den erhofften Beitrag zur Bekämpfung der Kinderarmut. Den versprochenen Systemwechsel zu einer Kindergrundsicherung, also eine echte Reform des Familienlastenausgleichs, schafft diese Ampel-Koalition so nicht. Selbst bei der Zusammenführung von Leistungen bleibt zum Beispiel der Leistungsdschungel des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten. Daran wird auch ein neues digitales Antragsportal nichts ändern. Im weiteren Prozess werden wir sehr genau beobachten, dass die Bundesregierung zumindest ihr Versprechen hält, einzelne Kinder nicht schlechter zu stellen als vor der Reform.“

Als wichtiger politischer Akteur war der Kinderschutzbund durch das Bundesfamilienministerium zudem aufgefordert, zum Referentenentwurf Stellung zu nehmen. 

Eine Kindergrundsicherung wird nach Ansicht des Kinderschutzbundes ihrem Namen nur gerecht, wenn sie folgende vier Anforderungen erfüllt:

1. Eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Leistungen für Kinder und Jugendliche durch eine Neuberechnung des Existenzminimums. Die Leistung muss von den echten Bedarfen dieser ersten Lebensphasen ausgehen und wirklich armutsverhindernd wirken!

Der vorliegende Entwurf wird diesem Anspruch nicht gerecht, denn er geht nicht an den Kern des Problems. Eine echte Neuberechnung, was Kinder wirklich für ein gutes Leben und Aufwachsen an finanziellen Mitteln brauchen, findet nicht statt. Vielmehr wird nur minimal an kleinen Stellschrauben im bestehenden System gedreht. Am Ende wird kaum bis gar kein zusätzliches Geld bei den Kindern ankommen, die es brauchen. Kinderarmut wird so nicht verhindert! 

2. Eine Leistung für alle Kinder, um Stigmatisierungen von vornherein auszuschließen und das bestehende System besser zugänglich zu machen!

Hier sind noch die größten Verbesserungen zu sehen, denn Kinder sollen künftig nicht mehr als „kleine Arbeitslose“ im Bürgergeld bleiben, sondern alle Leistungen aus Bürgergeld, Sozialhilfe und Kinderzuschlag soll in der Kindergrundsicherung zusammengeführt werden. Für Kinder im Asylverfahren soll jedoch weiterhin eine eigene, geringere Leistung bestehen bleiben. Der Kinderschutzbund fordert, auch diesen Kindern ein gutes Aufwachsen und eine gelungene Integration zu ermöglichen. 

3. Eine Leistung, die von allen Berechtigten voll in Anspruch genommen wird, weil ihre Leistungsbeantragung und Auszahlung automatisch und einfach abgewickelt wird!

Der aktuelle Entwurf macht hier erste kleine Schritte, aber ein Systemwechsel hin zu einer automatischen Leistung, die vom Staat zum Bürger gebracht wird und wirklich überall ankommt, bleibt leider aus. Dabei bieten gerade die Datenschnittstellen zwischen den Behörden viel Potenzial, das Beantragen von Leistungen für die Bürger*innen leichter zu machen und zu verhindern, dass Gelder aus Unwissenheit oder wegen zu aufwändiger Antragsverfahren nicht abgerufen werden und dann für die Kinder im Familienbudget fehlen.

4. Ein gerechteres Fördern und Entlasten von Familien, damit alle Kinder die Unterstützung bekommen, die sie für ein gutes Aufwachsen brauchen!

Gerechter wird es durch den Entwurf leider nicht. Auch weiterhin sollen die Kinderfreibeträge bestehen bleiben. Was Vielen nicht klar ist: Dadurch werden die Kinder der Höchstverdienenden über die Steuer überproportional mit über 100 € mehr im Monat als die Kinder von Normalverdienenden gefördert. Das kostet den Staat mehrere Milliarden Euro jährlich. Gleiche Startchancen für alle Kinder werden so nicht ermöglicht.

Der Kinderschutzbund wird das nun folgende parlamentarische Verfahren kritisch und konstruktiv begleiten, um noch Verbesserungen für arme Kinder in Deutschland zu erreichen. 


Ausgabe 23-4

Schwerpunkt

Trennung und Scheidung

Politik und Praxis

Kinder- und Jugendpolitik

Kinderschutz vor Ort

Mehr aus der DKSB-Praxis

Impressum