
Recht auf eine gesunde Umwelt
Katastrophale Überschwemmungen in Griechenland, Libyen und Norditalien, Dürre in Spanien, Waldbrände auf Rhodos, Zwist ums Wasser in Südfrankreich; „Klimakleber“, Streit um Heizungen und neue Windräder in Deutschland – Schlagzeilen aus dem Sommer 2023, dem heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen. Der mediale Lärm um den Klimawandel hat eine wichtige Nachricht überlagert: Der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat in einer neuen „Allgemeinen Bemerkung“ (General Comment, GC 26) das Recht der Kinder auf eine gesunde Umwelt deutlich geschärft und möchte ihren Stimmen mehr Gehör verschaffen.
In seinen Allgemeinen Bemerkungen interpretiert der Ausschuss die Kinderrechte mit Blick auf aktuelle Themen und gibt den 196 Staaten, die die Konvention unterschrieben haben, Handlungsanleitungen. Vor zwei Jahren ging es um die Kinderrechte in einer digitalisierten Welt (GC 25), und der Kinderschutzbund hat diese Allgemeine Bemerkung in seine Haltung und sein Handeln integriert.
Das neue Dokument kann ähnliche Wirkungen haben, denn es wendet sich an alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und macht konkrete Vorschläge:
Schon im ersten Satz konstatiert der Ausschuss eine dreifache weltweite Krise, die die Rechte der Kinder bedroht: Klimawandel, kollabierende Biodiversität und Umweltverschmutzung. Tausende Kinder aus aller Welt wurden befragt; sie machen deutlich, dass Entscheidungen der Gegenwart ihre Zukunft massiv bedrohen. Dieser Auffassung folgt das Dokument: Nicht nur die Rechte der heute lebenden Kinder sind zu berücksichtigen, dasselbe gilt für noch nicht geborene Generationen. Neben der aktuellen Verpflichtung für eine gesunde Umwelt haben die Staaten auch Verantwortung für die langfristigen Folgen ihrer heutigen Entscheidungen (oder ihrer Tatenlosigkeit). Kinderrechte und Umweltschutz, so der Ausschuss, sind eng miteinander verbunden.
Hier einige Beispiele aus dem Dokument, von denen sich Kinderschützer*innen für ihre Arbeit und neue Angebote inspiriert fühlen könnten:
Partizipation
Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können, sollten sich primär an den Interessen der Kinder orientieren und ihnen deshalb angemessene Möglichkeiten der Teilhabe bieten.
Aufwachsen
Die Entwicklung von Kindern ist verflochten mit ihrer Umwelt – eine gesunde Umwelt bietet zum Beispiel auch die Möglichkeit, draußen aktiv zu sein, in natürlichen Umgebungen zu spielen und zu interagieren, Pflanzen und Tiere in der Natur zu beobachten. Das fördere nicht nur die körperliche und mentale Gesundheit, sondern trage dazu bei, die Natur zu verstehen, zu achten und zu bewahren.
Gehör finden
Die Stimme der Kinder ist eine starke Macht für den Umweltschutz. Kinder bereichern Diskussionen und Entscheidungen auf allen Ebenen um wertvolle Perspektiven, so der Ausschuss. Er will, dass Kinder aktiv eingebunden werden in die Entwicklung von Maßnahmen gegen die gewaltigen Herausforderungen, die ihr Leben prägen werden – auch lokal. Unterstützung finden sie hoffentlich bei freien Trägern des Kinderschutzes und Organisationen, die von Kindern und Jugendlichen geführt werden.
Protest
Kinder organisieren sich überall auf der Welt, um auf ihre Interessen beim Schutz der Umwelt und im Kampf gegen den Klimawandel aufmerksam zu machen und ihre Rechte einzufordern. Das neue Dokument fordert die Staaten auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlungen zu schützen und dafür sichere Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehört es, beispielsweise Polizei, Lehrer*innen und andere staatlich Handelnde mit den Kinderrechten vertraut zu machen und dazu beizutragen, dass Kinder diese Rechte wahrnehmen können.
Informationen
Der Kinderrechteausschuss verpflichtet die Staaten, die Kinder umfassend über Umweltschutz und Klimawandel zu informieren – solche Informationen müssen altersgerecht aufbereitet sein und verbreitet werden. Es geht zum einen um Möglichkeiten, selbst etwas zu tun, zum anderen um den Schutz vor Risiken, die mit dem Klimawandel zusammenhängen.
Gesundheit
Klimawandel, die Zerstörung von Ökosystemen und der Verlust an Artenvielfalt stellen eine gewaltige Bedrohung des Kinderrechts auf Gesundheit dar, schreibt der Ausschuss. Er listet unter anderem auf: Schäden des Immunsystems, Ausbreitung von Autoimmun-Erkrankungen, Wassermangel und unsichere Ernährung, Luftverschmutzung und psychische Probleme.
Sicherheit und Leben
Die Folgen des Klimawandels treffen zwar zuerst ohnehin benachteiligte Kinder und Familien, heißt es im Dokument. Aber die Folgen können ganze Regionen zerstören – denken wir an die Katastrophe im Ahrtal. In solchen Fällen müssen ebenfalls die Kinderrechte im Fokus stehen – zum Beispiel bei Evakuierungen, dem Wiederaufbau, der Wiederherstellung von Sicherheit – und dem Schutz vor weiteren Schäden.
Bildung und Erziehung
Das ist eines der wesentlichen Fundamente für die Durchsetzung des Kinderrechts auf eine gesunde Umwelt. Die beteiligten Kinder haben deutlich gemacht, dass Schule wichtig ist, um sie auf das Thema aufmerksam zu machen, ihnen die Risiken zu erläutern und sie auf bevorstehende Probleme vorzubereiten. Umweltbezogene Bildung, das gilt nicht nur für Lehrer*innen, sondern für alle an der Erziehung Beteiligten. Gefordert sind ein breites Verständnis für die Umwelt und ihre Bedeutung sowie der klare Blick auf die von Menschen angerichteten Schäden und deren Vermeidung. Der Ausschuss zieht einen weiten Rahmen: Lehrmethoden und -technik sollten die Achtung der Natur widerspiegeln; die Infrastruktur der Umgebung ist anzupassen, etwa durch Rad- und Fußwege, den Einsatz erneuerbarer Energien, Gärten und Gebäude, die auf den Klimawandel vorbereitet sind.
Der General Comment 26 endet in einem weiten Bogen, der unter anderem Internationale Zusammenarbeit, Finanzpolitik, Justiz und drei Säulen der Klimapolitik anspricht: Bekämpfung (dazu werden alle Staaten „umgehend und dringend“ aufgefordert), Anpassung (mit besonderem Blick auf Kinder) und die staatliche Aufgabe, im Schadensfall schnell zu helfen. Zudem sollen Unternehmen nicht nur verpflichtet werden, „schnell“ ihre Emissionen zu reduzieren, sondern gründlich zu prüfen, welche Auswirkungen auf die Umwelt ihre Entscheidungen haben – und wie sie die Kinderrechte bedrohen – nicht nur heute, sondern auch in Zukunft, nicht nur hier, sondern grenzüberschreitend.
Das Papier beschreibt eine gefährliche Zukunft und macht deutlich, dass der Ausschuss es sehr ernst meint mit seinen Warnungen und Forderungen und der großen Sorge, dass die Kinderrechte im höchsten Maß bedroht sind, wenn Klimawandel und Umweltverschmutzung nicht aufgehalten werden.
Joachim Türk, Vizepräsident des Kinderschutzbundes
General Comment No. 26
Die „Allgemeine Bemerkung Nr. 26 (2023) zu Kinderrechten und Umwelt unter besonderer Berücksichtigung des Klimawandels“ und eine kindgerechte Version sind auf Englisch nachzulesen unter: