
Kind im Zentrum
Kinder beteiligen? Na klar! Für den Kinderschutzbund Ulm/Neu-Ulm ist es selbstverständlich, dass Kinder mitbestimmen dürfen, wenn in problematischen Trennungsfamilien „Begleiteter Umgang“ angeordnet wird.
Johanna ist 8 Jahre alt. Seit 3 Jahren hat sie ihre Mutter nicht mehr gesehen. Nun hat ihre Mutter eine Drogentherapie gemacht und einen Antrag auf Umgang gestellt. Das Familiengericht entschied auf Begleiteten Umgang beim Kinderschutzbund. Und was will Johanna?
Was ist Begleiteter Umgang?
Begleiteter Umgang heißt, dass Kinder den besuchsberechtigten Elternteil zum Beispiel beim Kinderschutzbund in Anwesenheit einer*s Umgangsbegleiter*in treffen. Die Umgänge werden von Fachkräften oder ehrenamtlichen Umgangsbegleiter*innen durchgeführt. Begleiteter Umgang ist eine Jugendhilfemaßnahme, die einerseits das Recht auf Kontakt zwischen Eltern und Kind und anderseits den Anspruch des Kindes auf Schutz berücksichtigt.
Drei Formen des Begleiteten Umgangs
Beim Kinderschutzbund Ulm/Neu-Ulm werden unterschiedliche Formen des Begleiteten Umgangs durchgeführt:
Unterstützter Umgang: Kontakt in erschwerten familiären Situationen ohne unmittelbare Risiken für das Kind. Zwei Umgangsbegleiter*innen ermöglichen mehreren Familien im Besuchscafé Eltern-Kind-Treffen.
Begleiteter Umgang: Eine Umgangsbegleiter*in und ein besuchsberechtigter Elternteil sind anwesend. Diese Form wird gewählt, wenn die Kinder zum Beispiel durch Ausfragen oder negative Bewertung des anderen Elternteils gefährdet sind oder wenn Kontakte zuvor durch Verweigerung nicht zustande kamen.
Beaufsichtigter Umgang: Zwei Umgangsbegleiter*innen und ein besuchsberechtigter Elternteil sind anwesend. Diese Form wird gewählt, wenn eine direkte oder akute Gefährdung des Kindes nicht ausgeschlossen werden kann. In der Vorgeschichte der Familie gab es (vermutete) Gewalt, psychische Erkrankung, Hochstrittigkeit usw.
Die neuen Standards des Bundesverbandes
2022 wurden die neuen Standards für den Begleiteten Umgang auf der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes verabschiedet. Grundlagen sind die UN-Kinderrechtskonvention und das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (2021), das die Beteiligung der Kinder an sie betreffende Jugendhilfemaßnahmen vorgibt, so wie §8a des Kinderschutzgesetzes, der ebenfalls die Einbeziehung des Kindes zur Gefährdungseinschätzung verlangt. In den neuen Standards zeigt sich eine veränderte Haltung gegenüber dem Kind. Das Kind wird als eigenständige Persönlichkeit mit eigenen Rechten und einer eigenen Stimme gesehen und damit zum Ausgangspunkt der Hilfe. Soll Begleiteter Umgang den Schutz des Kindes gewährleisten, ist die Einbeziehung des Kindes unabdingbar. Wie erfahren sonst die Akteure im Begleiteten Umgang, was das Kind bei den Eltern-Kind-Treffen braucht, wovor das Kind Angst hat und ob der Schutz wirklich gewährleistet ist?
„Ich mag nicht, wenn der Papa mir heimlich Nachrichten auf dem Handy zeigt. Ich glaube die Frau, die auf mich aufpassen soll, hat es gar nicht gesehen.“ Martha (8 Jahre)
Wir im Ortsverband Ulm/Neu-Ulm setzen bereits seit 2015 das Konzept „Kind im Zentrum“ bei vermuteter Gewalt, psychischer Erkrankung der Eltern oder Ähnlichem um. „Kind im Zentrum“ heißt: Kinder erhalten Beratung durch erfahrene Fachkräfte vor und begleitend zu den Begleiteten Umgängen. Auch die Eltern erhalten Beratung, um die Bedürfnisse des Kindes im Blick zu behalten und gemeinsame kindorientierte Lösungen für die Zukunft zu finden.
Oft bedarf es mehrere Beratungsstunden, bis das Kind zu seiner Beraterin Vertrauen fasst. Die Kinder haben meist erlebt, dass sie nicht gehört werden oder das Gesagte für die Konflikte der Eltern benutzt wird. Darum ist der Schutzraum einer eigenen Schweigepflicht für die Kinderberatung besonders wichtig.
„Sagst Du das jetzt wirklich nicht meiner Mama, sonst ist sie so traurig.“ David, wollte seine Mutter nicht treffen (12 Jahre)
„Ich weiß nicht, ob ich den Papa bei Euch treffen will. Weißt Du, ich habe Angst, dass er einfach geht und nie wieder kommt.“ Silas (11 Jahre)

„Bevor ich den Papa treffe, möchte ich gerne ein Bild von ihm sehen und einen Brief von ihm bekommen. Ich kenne ihn ja gar nicht.“ Sabrina (7 Jahre)
Unsere Erfahrung dabei ist, dass die Kinder oft eine andere Sicht haben als die Erwachsenen. „Kind im Zentrum“ gibt den Kindern ausreichend Zeit und Sicherheit, in den Spiel- und Beratungsstunden ihre eigenen Wünsche und Gefühle zu benennen.
Der Blick auf das Kind hat unsere Arbeit grundlegend verändert. Zum einen wurde die Not der Kinder aus den Trennungsfamilien sehr deutlich. Oft hatten die Kinder noch nie über ihre Gefühle oder ihre traumatischen Erfahrungen sprechen können. Außerdem wünschen sich die Kinder, die Eltern-Kind-Treffen aktiv mitzugestalten, dadurch erleben sie das Recht auf Partizipation ganz konkret.
„Ich will nicht, dass Mama mich immer nach den Noten fragt! Ich freue mich, wenn wir gemeinsam Ritterburg und Uno spielen, ohne dass Mama dauernd auf das Handy schaut.“ Janis (9 Jahre)
Auch die Arbeit mit den Eltern hat sich durch „Kind im Zentrum“ sehr verändert. Häufiger gelingt in den Gesprächen der Blick auf das Kind und der Elternkonflikt tritt in den Hintergrund.
Bei einer zweitägigen Fortbildung des Ortsverbandes Ulm/Neu-Ulm mit den Landesverbänden Bayern und Baden-Württemberg wurde das Konzept und der Beratungsansatz von „Kind im Zentrum“ praxisorientiert an Fachkräfte des Verbandes vermittelt. Wichtig zur Umsetzung sind Vorerfahrungen in den Ortsverbänden mit der Beratungsarbeit mit den Kindern.
Kinder werden durch „Kind im Zentrum“ mit ihren Bedürfnissen zum Ausgangspunkt für kindorientierte Lösungen. Und dann wird der Begleitete Umgang eine neue Beziehungserfahrung von Eltern und Kindern. Die Wünsche der Kinder werden gehört und verändern die Haltung der Eltern. So kann von einem angeordneten Begleiteten Umgang schrittweise eine neue Erfahrung im Miteinander von Kindern und Eltern entstehen. Dies wird nicht immer gelingen. Aber auch dann ist die Arbeit bei „Kind im Zentrum“ enorm wichtig. Werden Umgänge abgebrochen, bleiben die Kinder mit ihren Erfahrungen nicht allein.
Bettina Müller, Sonja Kroggel, Anja Federle, Kinderschutz-Zentrum des Kinderschutzbundes Ulm/Neu-Ulm

Buchempfehlung
In diesem Handbuch geht es um die neusten Entwicklungen im Begleiteten Umgang. Auch „Kind im Zentrum“ ist hier detailliert dargestellt.