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Politik und Praxis

Unter dem Existenzminimum

Die Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg und die Energie- und Wirtschaftskrise haben dazu geführt, dass Familien mit niedrigem Einkommen erheblich belastet sind. Mehr Kinder als in den Jahren zuvor sind von Armut bedroht. 

Die Preise für Haushaltsenergie, Kraftstoffe und Lebensmittel sind in den letzten Monaten stark angestiegen. Die Inflation trifft arme Familien besonders hart: Sie benötigen das knappe Budget für ihre Grundversorgung. Familien stehen an den Tafeln oder Kleiderkammern Schlange. Kinder kommen ohne Frühstück in die Schule oder werden vom Mittagessen abgemeldet. Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, kritisierte bereits vergangenen Dezember gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Wir haben eine kontinuierliche Steigerung der Kinderarmut in unserem Land. Wenn nicht endlich etwas geschieht, wird 2023 jedes vierte Kind von Armut betroffen sein.“ 

Kinderschützer*innen merken an vielen Orten Deutschlands, dass die soziale Spaltung zunimmt. Ehren- und hauptamtliche Mitarbeitende schlagen Alarm. Sie erfahren täglich von den Nöten und Ängsten der Familien. 

Im Kinderschutzbund Ortsverein Deggendorf gehen immer mehr Anträge auf finanzielle Unterstützung ein. Menschen aus der Mittelschicht unserer Gesellschaft wie Alleinerziehende, arbeitende Eltern oder Familien mit mehreren Kindern können sich Strom, Windeln oder das Mittagessen in der Schule nicht mehr leisten. „Am härtesten trifft es die, die arbeiten und keine Sozialleistungen beziehen. Viele fallen komplett durchs Raster“, sagt Yvonne Pletl-Schäfer, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Deggendorf-Plattling. Verzweifelt hat sich dort eine Mutter an den Kinderschutzbund gewandt, weil sie die Kosten für die anstehende Klassenfahrt nicht bezahlen kann: Der Sohn sei bereit, sein Taschengeld beizusteuern, in der Hoffnung, dass er dann doch mitfahren kann.

Auch Stephanie Wohlers, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Kreisverband Stormarn, weiß: „Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, leiden unter der steigenden Inflation. Doch wir machen uns auch Sorgen um die Menschen, die einer Arbeit nachgehen, jedoch wenig verdienen. Sie müssen die steigenden Kosten der Inflation tragen und zusätzlich die stark erhöhten Energiepreise stemmen. Auch diese Menschen benötigen jetzt Hilfe.“

Die Scham ist groß, trotzdem übernehmen viele Kinder Verantwortung für ihre Familien. „In Einrichtungen des Kinderschutzbundes Berlin fragen Kinder immer häufiger, ob sie Essen mit nach Hause nehmen dürfen“, erzählt Sabine Bresche, Koordinatorin der Beratungsstelle des Landesverbands Berlin. Dass Eltern zugunsten ihrer Kinder auf eine Mahlzeit verzichten, ist keine Seltenheit mehr.

Der Kinderschutzbund Landesverband Thüringen fordert mit dem Arbeitskreis Thüringer Familien Organisationen in einem Positionspapier: „Steigende Lebensmittelpreise und Energiekosten dürfen nicht zu signifikanten Einsparungen in der Qualität und Menge von Lebensmitteln mit der Folge von Mangelernährungen führen.“ 

Durch die extremen Preissteigerungen sind arme Kinder noch stärker als zuvor vom sozialen und kulturellen Leben ausgeschlossen. Für den Tierpark, die Musikschule oder ein Geburtstagsgeschenk an die Mitschülerin bleibt erst recht nichts mehr übrig. „Viele Eltern melden ihre Kinder aus Sportvereinen ab, weil sie abwägen müssen, was sie sich noch leisten können“, berichtet Julia Wahnschaffe vom Kinderschutzbund Baden-Württemberg. 

Dass sich Armut auf das Wohlbefinden von Kindern, ihre Bildungschancen, ihre Gesundheit und ihre soziale Teilhabe auswirkt, ist bekannt. Unsere Demokratie ist gefährdet, wenn es nicht gelingt, die sozialen Ungleichheiten zu verringern. Familien brauchen dringend ausreichende finanzielle Hilfe und eine stabile und gut ausgestattete Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe. 

Johanna Kern, redaktionelle Leitung der Verbandszeitschrift, Kinderschutzbund Bundesverband


Ausgabe 23-1

Schwerpunkt

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Politik und Praxis

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