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Kinder- und Jugendpolitik

Kindheit brennt

Was hat fehlender Fiebersaft mit Politik zu tun? Es zeigt, dass in unserer Gesellschaft grundsätzlich etwas schiefläuft. Kinder brauchen eine Stimme, ihre Bedürfnisse müssen endlich mitgedacht werden.

Im vergangenen Winter schien alles zusammenzukommen: Leere Regale für Kindermedikamente in Apotheken, überfüllte Kinderkliniken und Kinderarztpraxen kurz vor dem Kollaps. Kitas ohne ausreichende Fachkräfte und Schulen mit einem hohen Krankenstand bei Lehrer*innen. Im Winter 2022/2023 fand kaum irgendwo in Deutschland noch regelhafte Betreuung oder Schulunterricht statt. Hinzukam, dass viele Kinder und Jugendliche nach der Corona-Pandemie und nicht zuletzt in Zeiten des Kriegs in der Ukraine psychisch stark belastet sind. Was aber fehlt, sind – wenig überraschend – psychosoziale Angebote für Kinder und Jugendliche. Wer in diesem Winter den schlimmsten Infekten entkommen ist und auch die Pandemie unbeschadet überstanden hat, den trifft nun der russische Angriffskrieg: In Form von Bildern in den Nachrichten, in Diskussionen beim Abendessen und in der Schule und ganz erheblich in der finanziellen Belastung der Familienkasse durch Inflation und Energiekrise. In den sozialen Medien machte deshalb in den vergangenen Monaten der Hashtag #KindheitBrennt die Runde. Hier wiesen Pädagog*innen und Eltern, Ärzt*innen und Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe auf die vielen Belastungen für Kinder und Familien hin. Denn diese Belastungen für Kinder und ihre Familien haben ihre Ursache nicht nur in der winterlichen Infektionswelle von Atemwegserkrankungen. 

Wir haben es mit einer Haltung in Politik und Gesellschaft zu tun, die die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht ernst nimmt. Erst, wenn eines der Systeme kollabiert, wird hingeschaut, was schiefläuft. Und in Systemen, die Kinder und Jugendliche betreffen, ist unklar, was Qualität dort eigentlich bedeutet. Nehmen wir die Ganztagesbetreuung als Beispiel: Wir wissen seit Jahren, wie viele Fachkräfte fehlen. Wir sehen, wie heruntergekommen Schulen sind und dass viele zu wenige Räume haben, um ein Mittagessen anzubieten oder Freizeitangebote umzusetzen. Dennoch laufen Bund, Länder und Kommunen sehenden Auges in die nächste Katastrophe und versprechen einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung in der Grundschule schrittweise ab 2026. 

Das Problem an diesem Beispiel und vielen anderen: Wir haben ein zersplittertes Verantwortungssystem. Die Länder zeigen auf die Kommunen, die Kommunen auf die Länder und alle gemeinsam zeigen auf den Bund. Das Motto: Das muss jemand anderes lösen. Es fehlt der erkennbare und energische politische Wille, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und die Probleme in der frühkindlichen Bildung, an den Schulen und in der Kinder- und Jugendhilfe zu lösen. Aber es geht hier unmittelbar um die Lebensbedingungen und die Bildung unserer Kinder! Sie bekommen die Unzulänglichkeiten der Systeme täglich zu spüren. Kindern fehlt eine aktive Stimme in unseren politischen Prozessen. Deswegen fordern wir als Kinderschutzbund, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden. Je mehr Kinder Einfluss auf Politik haben, desto mehr wird sich Politik auch an ihnen ausrichten. 

Und schließlich: Wir hören immer wieder, was für ein hohes Gut Kinder seien. Und gleichzeitig sehen wir gesellschaftlich eher ihre zukünftige Verwertbarkeit: als Fachkräfte, als Rentenzahler*innen oder Pflegekräfte – eben alles, was wir jetzt und in den nächsten Jahren brauchen. Aber das ist falsch: Kinder haben bedingungslos ein Recht auf eine gute Kindheit. Kinder sind nicht nur unsere Zukunft, sie haben ein Recht auf ihre Gegenwart, auf ihre Kindheit. Und zwar zu den bestmöglichen Bedingungen. Dafür haben wir uns als Kinderschutzbund immer eingesetzt und werden das auch zukünftig tun.


Ausgabe 23-1

Schwerpunkt

Psychische Gewalt erkennen und vermeiden

Politik und Praxis

Kinder- und Jugendpolitik

Kinderschutz vor Ort

Mehr aus der DKSB-Praxis

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