Vorurteile abbauen
Derzeit wird in Politik und Gesellschaft über die Einführung einer Kindergrundsicherung gestritten. Das Bündnis KINDERGRUNDSICHERUNG ist besorgt, weil immer wieder Mythen und Vorurteile zur Kindergrundsicherung und Armutsbetroffenheit kursieren. Mit diesen muss dringend aufgeräumt werden!
Seit 2009 setzt sich das Bündnis KINDERGRUNDSICHERUNG dafür ein, dass Kinderarmut wirksam bekämpft wird. Das Bündnis aus 20 Verbänden und 13 unterstützenden Wissenschaftler*innen fordert die Einführung einer echten Kindergrundsicherung, die ihren Namen verdient. Hierfür sollen große Teile der bisherigen staatlichen Leistungen für Kinder sowohl gebündelt und automatisiert als auch auf ein armutsverhinderndes Niveau erhöht werden. Mit dieser echten Kindergrundsicherung sollen alle Kinder in Deutschland finanziell ausreichend abgesichert werden, sodass sie unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern echte Teilhabechancen erhalten.
Wir hinterfragen Vorurteile gegen von Armut betroffene Familien und die Kindergrundsicherung und geben Antworten.

Helfen Bildung und eine gute Infrastruktur besser gegen Kinderarmut als Geld?
Bildung ist wichtig, damit Kinder sich selbst verwirklichen und ihre Persönlichkeit voll entfalten können. Eine gute Ausbildung ist unerlässlich, um später gute Arbeitsplätze mit guten Gehältern zu bekommen und als Erwachsene nicht in Armut leben zu müssen. Von Bildung allein können Kinder aber nicht leben. Ganz im Gegenteil: Eine gute materielle Absicherung ist die Grundvoraussetzung für gute Bildung. Kinder brauchen daher heute schon ausreichend finanzielle Unterstützung für Essen, Kleidung und angemessenen Wohnraum. Denn mit leerem Magen lässt sich schlecht lernen. Neben Bildung und Geld ist auch die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern wichtig. Hierfür bedarf es guter Freizeitangebote und auch gebührenfreier Kita- und Hortplätze. Es geht also nicht um ein Entweder-oder: Gegen Kinderarmut hilft nur ein Miteinander von mehr Geld für die Familien und einer besseren Bildung und Infrastruktur für Kinder.
Tut unser Sozialstaat genug gegen Kinderarmut?
Fast drei Millionen Kinder sind in Deutschland von Armut betroffen oder bedroht. Das ist mehr als jedes fünfte Kind. Für ein reiches Land wie Deutschland ist dies ein erschreckend hoher Anteil. Die bisherigen Familienleistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag oder Bürgergeld verhindern Kinderarmut nicht ausreichend. Die Leistungen kommen nicht bei allen Familien an und sind zu gering bemessen. Es ist zum Beispiel wissenschaftlich erwiesen, dass eine gesunde Ernährung für Kinder mit dem Bürgergeld nicht möglich ist. Zusätzlich unterstützt der Staat sehr gut verdienende Familien durch steuerliche Freibeträge um rund 100 Euro pro Kind und Monat mehr als durchschnittlich verdienende oder einkommensarme Familien durch das Kindergeld. Staatliche Gelder für Kinder erreichen somit nicht vorrangig diejenigen Kinder, die den größten Unterstützungsbedarf haben.
Kommt das Geld überhaupt bei den Kindern an?
Seit vielen Jahren belegen Studien immer wieder, dass Familien zusätzliches Geld vom Staat für ihre Kinder ausgeben. Wie eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung zeigt, erhöht die finanzielle Sicherheit sogar die Bildungsbeteiligung und die Erwerbsmotivation der Eltern. Die wenigen Ausnahmefälle, bei denen das Geld nicht bei den Kindern ankommt, dürfen nicht als Maßstab für alle Familien genommen werden. Es gibt keine belastbaren empirischen Belege, dass finanzielle Leistungen des Staates für Kinder nicht bei den Kindern ankommen.
Leben dann noch mehr Eltern nur von Leistungen des Staates?
Die soziale Herkunft eines Kindes hat in Deutschland einen starken Einfluss darauf, wie ein Kind aufwächst. Die Kindergrundsicherung soll dafür sorgen, dass jedes Kind in Deutschland finanziell gut abgesichert ist und nicht in Armut leben muss – unabhängig von der sozialen Herkunft oder dem Erwerbsstatus der Eltern. Die Kindergrundsicherung kann sogar einen Anreiz setzen, dass Eltern (mehr) arbeiten gehen, da sie die verschiedenen staatlichen Leistungen für Kinder besser aufeinander abstimmt als es derzeit der Fall ist. Hierfür ist es wichtig, dass (zusätzliches) Erwerbseinkommen nur moderat auf die Kindergrundsicherung angerechnet wird. Dadurch erhöht jede Erwerbsarbeit das Familieneinkommen und lohnt sich finanziell.
Kann sich Deutschland eine Kindergrundsicherung leisten?
Wofür staatliche Gelder da sind und wofür nicht, ist immer eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Für eine echte Kindergrundsicherung ist nach dem Konzept des Bündnisses KINDERGRUNDSICHERUNG ein zweistelliger Milliarden-Betrag nötig. Um diesen Betrag aufzubringen, stehen dem Staat genug Möglichkeiten offen. Beispielsweise durch eine Abschaffung des Ehegattensplittings und eine Wiedereinführung einer Börsenumsatzsteuer kann der Staat Gelder in Milliarden-Höhe eintreiben. Zudem zahlt sich jeder investierte Euro gegen Kinderarmut aus: Kinder, die gut aufwachsen, können später mehr Steuern zahlen und brauchen weniger staatliche Unterstützung. Die Verhinderung von Kinderarmut ist auch ein Mittel gegen den Fachkräftemangel, denn nur ein gesund aufwachsendes Kind kann seine Potentiale voll entfalten. Deutschland kann es sich moralisch und wirtschaftlich nicht leisten, Millionen von Kindern auf der Strecke zu lassen.
Paula Wenning, Fachreferentin für Soziale Sicherung, Kinderschutzbund Bundesverband
