Politik und Praxis

Ab der Geburt im Internet

Kinderrechte müssen auch in sozialen Netzwerken gelten

Das Aufwachsen von Kindern ist von vielen ersten Malen geprägt – das erste Bad, der erste Brei, die ersten Schritte. Diese Momente halten viele Eltern auf Bildern und Videos fest, um den Großeltern ein Foto vom ersten Zahn zu schicken oder der besten Freundin stolz das erste Wort des Kindes zu zeigen. Das Festhalten von Erinnerungen beginnt häufig schon im Kreißsaal, wenn Eltern das erste Selfie mit dem Neugeborenen aufnehmen. So entsteht unweigerlich der digitale Fußabdruck schon ab Stunde null. Oftmals teilen Eltern diese besonderen Momente auf ihren Social-Media-Kanälen, manche von ihnen sogar mit tausenden Follower*innen. 

Ob privat oder öffentlich, beim Teilen von Kinderfotos handelt es sich um Sharenting, ein Kofferwort aus „sharing“ (teilen) und „parenting“ (Elternschaft). Wenn Eltern als Influencer*innen ihre Kinder und den Familienalltag auf ihren Social-Media-Accounts vermarkten, spricht man von kommerziellem Sharenting. Bei beiden Formen des Sharentings geben Eltern Einblicke in den Alltag mit ihren Kindern und teilen dabei Bilder und Videos von ihnen, auch in teils sehr privaten und intimen Momenten, wie im Kinder- oder Badezimmer. Gerade solche Einblicke können aber auch große Risiken mit sich bringen. So kann das Foto vom Strandurlaub von vor acht Jahren die heutige 15-Jährige nicht nur belasten, weil sie es peinlich findet und die Eltern das Bild noch immer nicht aus ihrem Feed gelöscht haben. Es kann auch von Mitschüler*innen aus den Tiefen des Netzes hochgeholt und verbreitet werden und somit Grundlage für Cybermobbing sein. Dieses Strandbild mit einem siebenjährigen Kind in Badehose mag eine schöne Erinnerung für das private Familienalbum im Regal sein. Es kann jedoch, einmal im Netz geteilt, auch in die falschen Hände geraten. 

Kinderschutz im Netz

Mittlerweile ist bekannt, dass etwa ein Viertel aller Bilder in pädosexuellen Foren aus den Fotosammlungen von Instagram & Co. stammen. Dabei handelt es sich nicht nur um nackte oder leicht bekleidete Kinder auf den Bildern, sondern um jegliche Abbildungen von Kindern. Diese Bilder können sehr leicht von Fremden heruntergeladen werden, beispielsweise um sie auf entsprechenden Webseiten sexuell explizit zu kommentieren oder aber als Tauschware für den Zutritt zu pädosexuellen Darknet-Foren zu handeln. Die Sicherheit der Kinder könnte aktiv gefährdet werden, indem sie erkennbar im Netz gezeigt werden oder über andere Informationen identifizierbar sind. Oftmals reichen schon wenige Klicks, um Klarnamen, Wohnort, Schule oder den Lieblingsspielplatz herauszufinden. So können auch Fremde, die durch die geteilten Informationen sehr viel über die Kinder wissen, diese gezielt ansprechen oder anlocken. Spätestens dabei müssten die Alarmglocken läuten. 

Auch in Sozialen Netzen müssen Kinderrechte eingehalten werden. | Foto: bastian-riccardi/unsplash

Sara Flieder, Soziologin und Kinderrechtsaktivistin, hat diese Gefahr erkannt und eine Petition für Kinderrechte auf Instagram ins Leben gerufen. Flieder sagt zwar, sie nehme mittlerweile einen deutlichen Wandel im Bewusstsein für Kinderschutz unter Eltern wahr, sie seien zunehmend sensibilisiert dafür, dass private Details der Kinder nicht ins Netz gehören und posten ihre Kinder nicht mehr oder geben kaum noch intime Details über sie preis. „Die großen Influencer*innen leben aber davon und ihnen ist es schlicht egal. Es ist ihr Geschäftsmodell. Kinder klicken gut, insbesondere, wenn sie klein und niedlich sind und noch besser, wenn man sie live beim Aufwachsen begleiten kann“, erklärt sie. Kritisch wird es laut Flieder vor allem dann, wenn das Kindeswohl in Gefahr ist: „Was wirklich gar nicht geht: Nackte Kinder, Kinder in intimen oder peinlichen Situationen oder wenn man durch Posts und Stories genau weiß, wann das Kind gerade wo ist.“ Influencer*innen verdienen sehr viel Geld mit den Einblicken in den Kinderalltag – all das ohne Beachtung der Kinderrechte. 

Jedes Kind hat ab Geburt ein Recht auf Privat- und Intimsphäre. | Foto: pixdeluxe/iStock

Kinderrechte im digitalen Raum

Mit dem Veröffentlichen von Bildern ohne Einwilligung des Kindes, das entweder zu jung zum Einwilligen oder aber zu jung für das Verständnis des Ausmaßes sozialer Netzwerke ist, werden dabei zwei Grundrechte des Kindes verletzt: das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Schutz, Teilhabe und Förderung sind grundlegende Kinderrechte gemäß der UN-Kinderrechtskonvention. Es ist wichtig, dass Erziehungsberechtigte, Kinder und pädagogische Fachkräfte diese Kinderrechte kennen, schützen und umsetzen. Dazu zählen unter anderem das Recht auf Zugang zu Medien, genauso wie das Recht auf Datenschutz und Privatsphäre, das Recht auf Schutz vor Gewalt, das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit und das Recht auf Bildung. Bei der Frage, ob eine Person ihr eigenes Kind vor der Kamera zu Werbezwecken einsetzt, gilt zudem auch der Jugendarbeitsschutz. Zentral ist dabei, dass Kinder nicht für das Haushaltseinkommen der Familie zuständig sein dürfen. Manche Kinderfluencer*innen sind finanziell so erfolgreich, dass die Eltern ihre Erwerbsarbeit aufgeben, um den Account des Kindes vollumfänglich zu managen. Es lastet dabei ein immenser Druck auf den Kindern, denn auch sie lernen früh, dass der Wohlstand der Familie von ihrer Performance vor der Kamera abhängt. Dieser wirtschaftliche Druck ist jedoch mit dem Recht des Kindes auf Bildung, Chancengleichheit und freie Entfaltung nicht vereinbar.

Kinderarbeit ist verboten, oder?

Um Kinderarbeit handelt es sich immer dann, sobald ein Kind einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Sobald das Spielen mit einem Spielzeug vor der Kamera in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht, handelt es sich um Arbeit. Gerade für Aufnahmen vor der Kamera mit Kindern in Rundfunk, Film, Theater oder Werbung gelten gemäß Jugendarbeitsschutzgesetz (JASchG) §6 sehr strikte Regeln, beispielsweise braucht es aktuelle Gesundheitsgutachten und die Zustimmung des zuständigen Jugendamtes. Influencer*innen bewegen sich hingegen in einem Graubereich – sie sind selbst Auftraggeber*in, das private Kinderzimmer ist das Set. Die Kontrolle der Auflagen bei derartigen Aufnahmen ist sehr schwierig, da grundsätzlich nicht nachvollziehbar ist, wie viele Stunden Kinder tatsächlich gearbeitet haben, um ein Video zu erstellen. Zudem gilt das JASchG erst für Kinder ab drei Jahren. In der Realität gibt es jedoch zahlreiche Influencer*innen, die ihre Babys und Kleinkinder sämtliche Produkte vorführen lassen oder sie zur Vermarktung ihres Familienaccounts einsetzen, um ihre Reichweite zu erhöhen. In Frankreich gibt es seit kurzer Zeit deshalb ein sogenanntes Influencer-Gesetz. Es soll Eltern daran hindern, Bilder ihrer Kinder, ohne deren Erlaubnis, auf sozialen Medien zu teilen. Das Gesetz regelt unter anderem, dass das erwirtschaftete Einkommen der Kinder auf ein Treuhandkonto eingezahlt wird, über das nur sie selbst ab 16 Jahren verfügen können, oder das „Recht auf Vergessen“, also das Löschen von Inhalten auf Wunsch der Kinder.

Auch in Deutschland brauchen wir gesetzliche Rahmenbedingungen, die die Grundrechte der Kinder im Netz schützen und an aktuelle Realitäten des Internets angepasst sind. Plattformen und Auftraggeber*innen müssen in die Pflicht genommen werden, Kinderschutz zu gewährleisten. Auch Flieder betont: „Es muss Regelungen geben, die dafür sorgen, dass Nacktbilder oder intime Momente nicht für mehr Reichweite und Werbeeinnahmen gepostet werden.“ Erziehungsberechtigte und auch pädagogische Fachkräfte in Kitas und Schulen müssen über die Kinderrechte im digitalen Raum aufgeklärt werden, um einerseits Risiken besser einschätzen zu können. Andererseits aber auch, um den Kindern die Chance zu geben, ihre eigene digitale Identität ohne Vorbelastung entwickeln zu können. Eltern sollten so wenige Fotos wie möglich von den eigenen Kindern in sozialen Netzwerken teilen. Und wenn, dann sollte das Kind nicht klar erkennbar sein. Die Rechte der Kinder sind einzuhalten – bei Neugeborenen genauso wie bei älteren Kindern. 

Hannah Lichtenthäler, Fachreferentin für Medien und Digitales, Kinderschutzbund Bundesverband

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Hilfs- und Beratungsangebote für Kinder und Eltern:

nummergegenkummer.de

klicksafe.de

safe-im-recht.de

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Ausgabe 23-3

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