Kinder- und Jugendpolitik

Katastrophal empfangen

Die Einreisezahlen unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter steigen, ihre Unterbringungssituation ist oft katastrophal. Sie treffen hier auf ein Ankunfts- und Betreuungssystem, das durch massiven Platzabbau und großen Fachkräftemangel dem Zusammenbruch nahe ist.

Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sind ohne ihre Eltern oder sonstige Bezugspersonen unterwegs und besonders schutzbedürftig: Sie benötigen Betreuung und Begleitung sowie eine rechtliche Vertretung.  Bei ihrer Ankunft in Deutschland werden sie im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (SGBVIII) untergebracht, in Heimeinrichtungen, Wohngruppen oder sonstigen betreuten Wohnformen, wie sie auch für hier groß gewordene Jugendliche üblich sind, wenn diese nicht bei ihrer Familie leben können.  Durch eine gute Unterstützung von Anfang an, können die jungen Menschen in Deutschland Fuß fassen. Ihr Bedarf ist dabei groß: Zurechtfinden in einem neuen System, asyl- und aufenthaltsrechtliche Begleitung, Familiennachzug, Orientierung im Schul- und Ausbildungssystem, gesundheitliche Probleme, Verarbeiten der Belastung durch Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht.

Gute Unterstützung ist gerade vielerorts nicht gegeben. Plätze in den Einrichtungen fehlen, neue Angebote können wegen mangelnder Fachkräfte, Räumlichkeiten oder Planbarkeit nicht eröffnet werden. Daher wurde in den meisten Bundesländern der Standard für die Betreuung herabgesetzt: Es dürfen mehr junge Menschen pro Zimmer untergebracht werden, die Betreuung kann auch durch Nicht-Fachkräfte erfolgen und die Betreuungszeiten werden eingeschränkt (oder durch Security ersetzt). Diese Herabsenkung der Standards gilt explizit für junge Geflüchtete und stellt damit eine Diskriminierung im Rahmen des SGBVIII dar, die das Gesetz nicht vorsieht. Es werden „Notbetreuungen“ installiert, die über viele Monate laufen, in denen die jungen Menschen keine konstante Ansprechperson, keine rechtliche Vertretung (Vormund) haben, nicht zur Schule gehen oder angebunden werden. Erfolgt das Ankommen der Kinder und Jugendlichen auf derart prekäre, von individuellen Bedarfen abgekoppelte Weise, hat dies massive Auswirkungen auf ihre weiteren bildungsbezogenen, gesundheitlichen und sozialen Entwicklungen – kurz ihre Zukunftsperspektiven.

Auch über 18 Jahre gibt es weiterhin einen Anspruch auf Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe, dennoch werden gerade junge Geflüchtete überproportional oft mit 18 Jahren aus den Hilfen entlassen, um Platz für neu einreisende Jugendliche zu schaffen. Junge Menschen, die mit 16 oder 17 Jahren eingereist sind und mit 18 abrupt aus der Jugendhilfe in Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete entlassen werden, haben große Schwierigkeiten ihren bisherigen guten Weg ohne Unterstützung weiter zu verfolgen. Verbreitete populistische Narrative darüber, dass junge Geflüchtete weniger Bedarfe als hier sozialisierte junge Menschen in der Jugendhilfe mitbrächten, entbehren jeder fachlichen Kenntnis und dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, kinderrechtswidrig eine Versorgung „zweiter Klasse“ zu etablieren.

Die Anerkennungsquote von unbegleiteten Minderjährigen im Asylverfahren lag im Jahr 2022 bei 91%, diese jungen Menschen bleiben auf Dauer hier in Deutschland! Sie sind Teil der Gesellschaft und um diese mit gestalten zu können, dürfen ihre Perspektiven nicht blockiert werden!

Helen Sundermeyer, Referentin beim Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. im Projekt „Kindgerechtes Ankommen sicherstellen“
gefördert durch den „Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF)“ der Europäischen Union

Illustration: Tomka Weiß

Ausgabe 23-3

Schwerpunkt

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