Prof. Dr. Jörg Fegert im Gespräch mit Ekin Deligöz. | Foto: DKSB Bundesverband e.V.

Schwerpunkt

Kinderschutztage 2023

70 Jahre Kinderschutzbund, die Wahl der neuen Präsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen mit neuem Vorstand, der Abschied von Heinz Hilgers nach 30 Jahren Präsidentschaft und ein Positionspapier für die künftige Ausrichtung – die Kinderschutztage in Berlin waren reich an bedeutsamen Ereignissen und Entscheidungen.

Mehr als 250 Kinderschützer*innen aus den Orts- und Landesverbänden kamen am 12. und 13. Mai 2023 nach Berlin, um an der Mitgliederversammlung teilzunehmen. In diesem Jahr galt es, eine neue Präsidentin und einen neuen Vorstand zu wählen.

Sensibilisierung für psychische Gewalt bleibt wichtig 

Eröffnet wurde die Mitgliederversammlung mit dem aktuellen Schwerpunktthema im Kinderschutzbund – der psychischen Gewalt. Die scheidende Vizepräsidentin Ekin Deligöz sprach dazu mit Prof. Dr. Jörg Fegert, dem ärztlichen Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm. Zu den wichtigsten Ergebnissen seiner Studie zu „Einstellungen zu Körperstrafen und elterlichem Erziehungsverhalten in Deutschland“ berichtete Fegert, dass seit der Einführung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung die Akzeptanz bei den Körperstrafen stark zurück gegangen ist. Ein Bewusstsein für psychische Gewalt sei allerdings kaum vorhanden. Fegert forderte eine „Kultur des Einmischens“ auch bei psychischer Gewalt: So wie wir körperliche Gewalt nicht hinnehmen, sollten wir auch bei psychischer Gewalt gegen Kinder nicht wegsehen. Ekin Deligöz betonte, dass eine Sensibilisierung für die Formen und Folgen psychischer Gewalt schon in der Ausbildung relevanter Berufsgruppen stattfinden muss.

Bericht aus dem Bundesvorstand 

Die Bundesvorstandsmitglieder berichteten über ihre Schwerpunktaufgaben im vergangenen Jahr. Heinz Hilgers richtete seinen Blick auf die Lobbyarbeit des Verbandes zur Kinderarmut und kritisierte, dass die SPD nicht genug Einsatz zeige, um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung durchzusetzen. „Ich fürchte, dass unser Eckpunktepapier kein Einstieg in die Kindergrundsicherung wird, sondern ein Etikettenschwindel.“ Hilgers betonte, dass es nicht stimme, dass kein Geld zur Verfügung stehe. Es sei nur eine Frage von Prioritäten und Haltung. 
Sabine Andresen berichtete von der Plakat-Kampagne „Gewalt ist mehr, als du denkst“, und kündigte an, dass die Kampagne demnächst auch in Kinderarztpraxen sichtbar sein werde. „Genau an solchen Orten erreichen wir die Mütter und Väter ganz besonders,“ sagte Sabine Andresen. 
Ekin Deligöz sprach über das starke Engagement des Kinderschutzbundes für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), die ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas war zu Gast. | Foto: DKSB Bundesverband e.V.

Abendveranstaltung 70 Jahre Kinderschutzbund 

Am Abend feierte der Kinderschutzbund Bundesverband in festlichem Rahmen sein 70-jähriges Bestehen und würdigte den scheidenden Präsidenten Heinz Hilgers, der nach 30 Jahren ehrenamtlicher Präsidentschaft nicht mehr kandidierte. Hochrangige Gäste kamen zu Besuch: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas betonte in ihrer Rede, dass Kinder das Recht auf besondere Förderung, auf besonderen Schutz und das Recht, gehört zu werden, haben. Die Stärke einer Demokratie zeige sich auch daran, wie sie die Rechte von Kindern sicherstellt. Wichtige Wegbegleiter*innen wie die ehemaligen Familienministerinnen Prof. Dr. Rita Süssmuth und Dr. Christine Bergmann sowie die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus waren zu Gast. Dr. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, würdigte Heinz Hilgers Verdienste für die Rechte von Kindern in seiner Rede. Die Gäste und Vertreter*innen der Landesverbände verabschiedeten Heinz Hilgers gemeinsam mit den anwesenden Delegierten.  

Dr. Christine Bergmann, Lisa Paus und Prof. Dr. Rita Süssmuth (von rechts nach links) sprachen über Kinderrechte. (Moderation: Raiko Thal) | Foto: Dirk Hasskarl

Wahlen und Beschlüsse  

Der zweite Tag der Mitgliederversammlung stand ganz im Zeichen der Vorstandswahlen und der Beschlüsse. Die zur Wahl stehenden Kandidat*innen wurden jeweils mit großer Mehrheit gewählt. Nach Ende der Mitgliederversammlung ließen die Delegierten die Veranstaltung bei einer gemeinsamen Schifffahrt durch die Berliner Innenstadt ausklingen. Im kommenden Jahr werden die Kinderschutztage am 24. und 25. Mai in Frankfurt am Main stattfinden.

Der Kinderschutzbund hat eine neue Präsidentin

Mit einer bewegenden Rede stellte sich Prof. Dr. Sabine Andresen auf der Mitgliederversammlung am 13. Mai zur Wahl. Kinder und Jugendliche brauchen starke Verbündete und vertrauensvolle Beziehungen, sei es in der Familie oder in Kita, Schule und Jugendhilfe. Sabine Andresen hob hervor, dass es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gebe, sich für das Wohl und die Stimme von Kindern und Jugendlichen einzusetzen. Als Präsidentin des Kinderschutzbundes möchte sie gemeinsam mit den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden auch in der derzeitigen herausfordernden Zeit für Kinder, Jugendliche und Familien daran arbeiten, die soziale Ungleichheit zu minimieren und der Ungerechtigkeit gegenüber Kindern und Jugendlichen, ihrer Diskriminierung und dem Raubbau an ihrer Zukunft entgegenzutreten. Sabine Andresen nahm die Wahl mit großer Freude und unter viel Applaus an.

Gemeinsam mit ihr werden sich in den nächsten vier Jahren Nezahat Baradari (Vizepräsidentin), Joachim Türk (Vizepräsident), Rolf Himmelsbach (Schatzmeister), Prof. Beate Naake (Schriftführerin), Yvonne Bauer (Beisitzerin) und Heidi Schmieding (Beisitzerin) für die Belange des Kinderschutzbundes einsetzen.

Neue Vorstandsmitglieder 

Neu dazugekommen sind zwei Mitglieder: Die neue Vizepräsidentin Nezahat Baradari ist Kinder- und Jugendärztin und Abgeordnete der SPD im Deutschen Bundestag. Aus ihrer Sicht brauchen Kinder und Jugendliche eine effektive Lobby in Berlin. Sie möchte sich für die Rechte und Belange aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland einsetzen. Besonders in Hinblick auf die seelische und psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wird sie ihre Expertise als Kinderärztin, aber auch als Bundespolitikerin, für den Kinderschutzbund einbringen.

Der neu gewählte Vorstand | Foto: DKSB Bundesverband e.V.

Die neue Beisitzerin Yvonne Bauer ist Projektkoordinatorin im Ortsverband Schweinfurt und leitet dort die Projekte Familienpatenschaften und Begleiteter Umgang. Darüber hinaus ist sie zertifizierte Elternkursleitung Starke Eltern – Starke Kinder. Yvonne Bauer möchte dem Bundesvorstand einen neuen Blickwinkel eröffnen, indem sie die Sicht der Basis einbringt. Ihr Ziel ist es, die Aufgaben und Herausforderungen des Bundesvorstands mit denen der Orts- und Kreisverbände aufeinander abzustimmen, sodass beide Seiten profitieren. Yvonne Bauer ist überzeugt: Gemeinsam lassen sich Veränderungen bewirken.

Aus dem Bundesvorstand verabschiedete sich Ekin Deligöz. Heinz Hilgers dankte ihr für ihr außerordentliches Engagement der vergangenen Jahre als Vizepräsidentin des Kinderschutzbundes. Auch wenn Ekin Deligöz nicht mehr im Vorstand ist, wird sie sich als Parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium dennoch weiter für die Chancen und Rechte für Kinder einsetzen.

Zusammen mit dem neuen Bundesvorstand blickt der Kinderschutzbund in die Zukunft: Es gibt einiges zu tun!

Zukunftsweisende Beschlüsse 

Auf der Mitgliederversammlung wurden die eingebrachten Anträge beraten und verabschiedet. 

Heinz Hilgers ist Ehrenpräsident 

Zunächst wurde beschlossen, Heinz Hilgers zum Ehrenpräsidenten zu ernennen. Der Applaus im Raum machte deutlich, dass ihm der Verband herzlich für die herausragende Arbeit der vergangenen 30 Jahre dankt. 

Zukünftige Ausrichtung des Kinderschutzbundes 

Das Positionspapier „Bedingungen eines guten Lebens für Kinder und Jugendliche schaffen“ wurde mit den beantragten Änderungen beschlossen. Darin ist formuliert, wie sich der Kinderschutzbund in den nächsten Jahren ausrichten wird und welche bekannten, aber auch neuen Aufgaben und Herausforderungen in Zukunft auf ihn zukommen werden. Es bleibt weiter wichtig, Kinder vor allen Arten von Gewalt zu schützen, die Kinderrechte bekannt zu machen und umzusetzen, gegen die Kinder- und Jugendarmut in Deutschland anzukämpfen und geflüchtete Kinder und Jugendliche zu versorgen und zu unterstützen. Daneben werden aber verstärkt auch weitere Themen in den Fokus der Kinderschutzarbeit rücken: Dazu zählen zum Beispiel der Fachkräftemangel in der Bildung, Erziehung und Gesundheit, der Umgang mit der Digitalisierung, die Bedrohung durch den Klimawandel oder die Entwicklung antidemokratischer Kräfte in Deutschland. Das Positionspapier wird als Grundlage für die Erarbeitung eines neuen Kinderpolitischen Programms dienen. 

Erarbeitung eines Kinderpolitischen Programms bis 2024 geplant 

Das beantragte Verfahren zur Überarbeitung des Kinderpolitischen Programms bis zur Mitgliederversammlung 2024 wurde diskutiert und mit den eingebrachten Änderungen beschlossen. Der Kinderschutzbund ist in seinen Strukturen und Angeboten bunt und heterogen. Aufgrund dieser Vielfalt braucht der Verband eine gemeinsame Haltung und Arbeitsgrundlage. Das Kinderpolitische Programm dient dazu, die Haltung und die damit verbundenen Grundüberzeugungen des Verbandes, zu beschreiben. Zentral ist eine Sicht vom Kind aus, im Sinne des Kindeswohls konsequent zu argumentieren und die Rechte des Kindes (schützen, fördern und beteiligen) zu stärken. Das Kinderpolitische Programm wurde zuletzt 2014 aktualisiert. Der Verband wird sich über das Positionspapier auszutauschen, um gemeinsam bis 2024 ein neues Kinderpolitisches Programm zu erarbeiten. Das Programm wird Grundlage für die praktische Arbeit der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden sein.

Qualitätskriterien für Verfahrensbeistandschaften 

Auch die „Qualitätskriterien und Standards für Verfahrensbeistandschaften im Rahmen der Arbeit des DKSB“ wurden beschlossen. Diese beschreiben Mindeststandards für Verfahrensbeistandschaften. Verfahrensbeistände vertreten in familiengerichtlichen Verfahren die Interessen eines Kindes. Ihre Aufgabe ist es, den Willen des Kindes herauszufinden und durchzusetzen. Sie begleiten das Kind dabei und erläutern altersgerecht, worum es im Gerichtsverfahren geht. Mit der Verabschiedung der Standards und Qualitätskriterien sind diese für alle Verbandsgliederungen verbindlich.

Fachliche Standards für Fachberatungsstellen 

Zuletzt wurden die „Rahmenrichtlinien für Fachberatungsstellen des Kinderschutzbundes im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ beschlossen. Sie beschreiben notwendige fachliche Standards als Grundlage für die Arbeit der Fachberatungsstellen aller Gliederungen des Kinderschutzbundes im Bereich „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“. Ziel ist es, die Angebote der Fachberatungsstellen im Kinderschutzbund zu vereinheitlichen, um ein klares Profil zu gewinnen.

Mitgliederversammlung im Hotel Mercure MOA Berlin | Foto: DKSB Bundesverband e.V.

Ausgabe 23-2

Schwerpunkt

Neue Herausforderungen im Kinderschutz

Politik und Praxis

Kinder- und Jugendpolitik

Kinderschutz vor Ort

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