Kinder- und Jugendpolitik

Ene mene muh und raus bist du

Leistungsdefizite bereits in der Grundschule, zusätzlich verstärkt durch die Corona-Pandemie, Chancenungleichheit, Lehrer*innen- und Erzieher*innenmangel, marode Schulgebäude, fehlende Kita-Plätze und Schwierigkeiten bei der Digitalisierung der Schulen: Die Liste mit den massiven Problemen im deutschen Bildungssystem ist lang. 

Jeden Tag werden in der Bundesrepublik die Rechte aller Kinder und Jugendlichen auf bestmögliche Bildung verletzt. Besonders die Kinder drohen auf der Strecke zu bleiben, die sowieso schon schwierige Ausgangsbedingungen mitbringen – wie die Kids der A13, einem Projekt der schulbezogenen Soziarbeit des Kinderschutzbundes Berlin.

Wenn ein marodes Bildungssystem auf Berlin-Wedding trifft, einem Stadtteil, in dem besonders viele Kinder von Armut betroffenen sind, dann rückt Chancengleichheit in weite Ferne. Elif (Name geändert) ist 13 Jahre alt, sie hat vor etwa einem halben Jahr ihre Grundschule in Berlin beendet und hat es auf ein Gymnasium geschafft. Die Anforderungen auf der neuen Schule sind hart für die Schülerin. Jeden Tag bekommt sie viele Hausaufgaben auf und muss Referate vorbereiten. Elif hat keinen Laptop, kein Tablet und kein eigenes Zimmer zu Hause: sie bereitet das Referat auf ihrem Handy vor, in einem Zimmer, das Sie sich mit drei jüngeren Geschwistern teilt. Elifs Familie lebt in einer Zweizimmer-Wohnung, die Eltern haben keine Kapazitäten ihre Tochter zu unterstützen. Einen ruhigen Rückzugsort zum Lernen gibt es für das Mädchen nicht, trotzdem lernt sie fleißig unter diesen schwierigen Bedingungen und bekommt gute Noten.

„Die Bildungsrepublik Deutschland steckt in einer tiefen Krise. Wir brauchen eine bildungspolitische Trendwende, die das Aufstiegsversprechen erneuert. Ein Weiter-so darf es nicht geben. Das gilt für die Chancen jedes einzelnen Kindes und für die Zukunft unserer Gesellschaft und Volkswirtschaft.“, heißt es im Thesenpapier zum Bildungsgipfel 2023, der am 14. und 15. März 2023 in Berlin stattfand. An dem Bildungsgipfel von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gab es viel Kritik. Nur zwei der 16 Landesminister*innen für Bildung, Wissenschaft und Kultur kamen. Konkrete Beschlüsse wurden auf dem Bildungsgipfel nicht gefasst, die Veranstaltung galt als Auftakt.

Ein neues Aufstiegsversprechen angesichts der diversen Probleme im Bildungssystem? Elif wird von dem Versprechen eher nicht profitieren. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Bildungserfolge in Deutschland immer noch vom Elternhaus abhängig sind. Wenn Kinder wie Elif es trotzdem irgendwie schaffen, das Gymnasium zu durchlaufen und Abitur zu machen, haben sie das nicht dem deutschen Bildungssystem zu verdanken, sie schaffen den Aufstieg aus eigenen Kräften. In diesem Fall hat sicher auch die zusätzliche Förderung geholfen: Auch Elif ist ein ehemaliges Kind der A13.

Katharina Weiß UNTERSTÜTZT IN BERLIN Kinder und Jugendliche darin, die schulischen Anforderungen besser zu meistern und ist für sie eine enge Vertraute und wichtige Ansprechpartnerin. | Foto: Der Kinderschutzbund Landesverband Berlin

Wie das deutsche Bildungssystem dazu beiträgt, dass Chancen eher verpasst als eröffnet werden, damit ist Katharina Weiß, Erziehungswissenschaftlerin und Projektleiterin aus der A13 bestens vertraut. In das Projekt der außerschulischen Sozialarbeit vom Kinderschutzbund Berlin rund um die Amsterdamer Straße im Wedding kommen Kinder aus einer benachbarten Grundschule im Alter von zehn bis zwölf Jahren. Hier werden Kinder einzeln oder in Gruppen gefördert. Dabei versucht Katharina Weiß mit den Kindern Leistungsdefizite auszugleichen und spricht über Schwierigkeiten in der Schule, Rassismuserfahrungen der Kinder oder Armut in der Familie. Für die Kinder ist Katharina Weiß eine enge Vertraute, mit der sie offen über Themen sprechen, für die in Schule und Elternhaus kein Platz ist. Auch politische Themen aus der Lebenswelt der Kinder bearbeitet Katharina Weiß – wie zum Beispiel im Projekt einer Mädchengruppe, in dem es darum ging, dass die Menstruation kein Tabu sein muss und aus Binden, Tampons und roter Farbe Kunst entstanden ist.

 „Die A13 ist ein großes Privileg für die Kinder.“, sagt Katharina Weiß. „Eigentlich haben alle Kinder die A13 nötig. Hier fokussieren wir uns auf die Einzelförderung von Kindern, die Probleme in der Schule haben. Es kommen vereinzelt Lehrkräfte zu mir, aber es gibt auch Lehrkräfte, die es nicht machen, obwohl in jeder Klasse mehrere Kinder sind, die zusätzliche Unterstützung bräuchten. Für die Lehrkräfte bedeutet die Kooperation mit der A13 eine Mehrarbeit aus zusätzlichen Elterngesprächen und administrativen Aufgaben, und die Kapazität haben nicht alle Lehrer*innen.“, so Katharina Weiß weiter.

Die A13 unterstützt Kinder, damit sie besser in der Schule ankommen und besser aus der Schule herauskommen. Die außerschulische Institution kompensiert, was die Schule nicht hinbekommt. Bei dem akuten Pädagog*innenmangel wundert das nicht.

Bundesweit fehlen laut einer Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland mehr als 12.000 Lehrkräfte, der Deutsche Lehrerverband geht sogar von bis zu 40.000 offenen Stellen aus. Die massiven Probleme bei dem Mangel an Lehrkräften führen zu erheblichen Belastungen für die Schulen. Mit schwerwiegenden Folgen: An Grundschulen gehen die Leistungen beim Lesen, Schreiben und Rechnen seit Jahren zurück. Auch an den weiterführenden Schulen sinkt das Leistungsniveau. Die Zahl junger Menschen ohne Schulabschluss bleibt hoch.

Abgehängt zu werden, droht auch Micha (Name geändert). Der Elfjährige kommt wegen seines Gewaltproblems in die A13 und um über seine Rassismuserfahrungen, die er täglich macht, zu reden. Die Beschulung läuft nicht so wie sie laufen sollte. Der Junge hat nie gelernt zu lernen.
„Micha ist hier in der Einzelförderung, um dem, was er erlebt, Raum zu geben, um mal eine Pause zu nehmen vom Unterricht, auf den er sich nicht konzentrieren kann. Über Beziehungsarbeit hoffe ich präventiv zu unterstützen, damit er nicht auf eine ganz schiefe Bahn gerät. Außerdem versuche ich herauszufinden, wo seine Stärken liegen. Was sind seine Kompetenzen und wie kann ich sie so wachsen lassen, dass er davon zehren kann? Ihn in der Schule so intensiv zu unterstützen, das ist einfach nicht möglich.“, so Katharina Weiß aus der A13.

Nicht jede Grundschule in Deutschland hat Projekte wie die A13 um die Ecke. Leider. Zusätzliche Unterstützung der Schulen durch eine außerschulische Sozialarbeit, sind gerade dort nötig, wo Kinder besonders stark von Armut betroffen sind. Viele Kinder drohen vom aktuellen Bildungssystem abgehängt zu werden. Kein Kind ist für die Umstände, in die es geboren wird, verantwortlich. Kindern gleiche Chancen zu ermöglichen, egal aus welchem Elternhaus sie kommen, sollte in Deutschland längst schon Realität und kein Auftakt sein.  

Die A13, benannt nach ihrem Standort in der Amsterdammer Straße 13 in Berlin-Wedding, ist ein außerschulisches sozialpädagogisches Angebot für Kinder, Jugendliche und deren Eltern im Kiez. | Foto: Der Kinderschutzbund Landesverband Berlin

Ausgabe 23-2

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