Mehr Chancen für Kinder
Das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) bringt den Ausbau der Ganztagsangebote voran. Für genügend Plätze und mehr Qualität müssen Bund, Länder und Kommunen eng zusammenarbeiten. Ekin Deligöz, ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium und ehemalige Vizepräsidentin des Kinderschutzbundes, spricht über die Ziele des Gesetzes und die unterschiedlichen Herausforderungen bei der Umsetzung in den Bundesländern.
Was sind die Ziele des Ganztagsförderungsgesetzes (GaFöG)? Welche gesellschaftlichen oder bildungspolitischen Herausforderungen sollen langfristig verbessert werden?

EKIN DELIGÖZ: Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter verbessern wir die Bildungs- und Chancengerechtigkeit für Kinder in Deutschland. Ganztag schafft mehr Zeit, um verschiedene Bildungsangebote sinnvoll miteinander zu verknüpfen: Lernstoff aus dem Matheunterricht kann beim Backen oder in der Robotik-AG vertieft werden. Demokratie- und Medienbildung sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung können besser im Schulalltag integriert werden. Und vor allem bieten Ganztagsangebote mehr Zeit, um auf individuelle Förderbedarfe der Kinder einzugehen.
Gute Ganztagsbildung und -betreuung trägt so dazu bei, dass Kinder weniger auf die Ressourcen ihrer Eltern angewiesen sind – zum Beispiel auf ihre Kraft und Zeit, am Abend bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Das nimmt Druck aus den Familien. Und das macht unser Bildungssystem gerechter. Denn es entkoppelt Bildungserfolg vom Elternhaus und gleicht Benachteiligungen in der sozialen Teilhabe aus, zum Beispiel durch verbesserten Zugang zu kulturellen, musischen und sportlichen Angeboten. Für all das reicht ein rein quantitativer Ganztagsausbau natürlich nicht aus – die Qualität muss stimmen!
Ein weiteres zentrales Ziel verfolgen wir mit dem GaFöG: Wir verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schließen die Betreuungslücke im Übergang von KiTa zur Schule. Damit sorgen wir dafür, dass viele Eltern – vor allem Mütter – ihre Erwerbstätigkeit ausweiten können. Das wirkt sich nicht nur positiv auf das Bruttoeinkommen vieler Familien aus, sondern ist auch eine drängende Antwort auf den sich zuspitzenden Fachkräftemangel.
Wie bewerten Sie die bisherigen Fortschritte bei der Einführung und Umsetzung des GaFöG, insbesondere in Hinblick auf die unterschiedlichen Herausforderungen der Bundesländer?
EKIN DELIGÖZ: Die Bundesländer blickten bei Verabschiedung des GaFöG von verschiedenen Startpunkten aus auf die Herausforderung des Ganztagsausbaus: Während es in den neuen Bundesländern schon vergleichsweise viele Ganztagsangebote gab, besteht der überwiegende Ausbaubedarf vor allem in den alten Bundesländern. Der Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen – zum Beispiel in dem der Rechtsanspruch für die Klassenstufen eins bis vier schrittweise eingeführt wird und erst ab dem Schuljahr 2029/30 für alle Grundschüler*innen gilt.
Auch wenn in allen Bundesländern inzwischen Fortschritte gemacht wurden: Es bleiben deutliche Unterschiede bestehen. Nicht überall geht man den Ganztagsausbau gleichermaßen beherzt an. Und mancherorts gibt es leider auch noch einiges an grundsätzlicher Überzeugungsarbeit zu leisten. Am höchsten ist der prozentuale Ausbaubedarf weiterhin in Bayern, während Sachsen und Thüringen das Ziel bereits erreicht haben. Doch ich bin zuversichtlich, dass die meisten Bundesländer bei Inkrafttreten des Rechtsanspruchs den Bedarf der Eltern an Ganztagsangeboten werden decken können. Diese Zuversicht stützt auch der Zweite GaFöG-Bericht von 2024. Deutschlandweit werden derzeit bereits 56 Prozent der Grundschulkinder ganztägig betreut. 64 Prozent der Eltern gaben an, sich ein Ganztagsangebot zu wünschen.
Um das Ziel zu erreichen, dürfen wir in der Geschwindigkeit des Ganztagsausbaus nicht nachlassen. Es gibt weiterhin viel zu tun: Bis zum Schuljahr 2029/30 gilt es (je nach Entwicklung des Bedarfs) noch insgesamt rund 390.000 zusätzliche Plätze zu schaffen.
Die Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetzes stellt die Länder vor Herausforderungen. Wie unterstützt der Bund die Länder dabei, den Ausbau von Ganztagsangeboten erfolgreich voranzutreiben, ohne dass die Qualität der Betreuung unter dem schnellen Ausbau leidet?
EKIN DELIGÖZ: Der Bund unterstützt sowohl bei der Finanzierung des Ganztagsausbaus als auch bei der Qualitätsentwicklung und Fachkräftesicherung. Er stellt den Ländern im Rahmen von zwei Investitionsprogrammen insgesamt 3,5 Milliarden Euro für den Ganztagsausbau zur Verfügung – Finanzmittel, die in Ausstattung, Neu- und Umbauten fließen können. Ab 2026 trägt der Bund außerdem dauerhaft einen Teil der Betriebskosten von bis zu 1,3 Milliarden Euro jährlich. Und mit dem Startchancen-Programm und insgesamt 20 Milliarden Euro von Bund und Ländern werden in den kommenden 10 Jahren gezielt Schulen in benachteiligten Lagen unterstützt.
Mit Blick auf die Qualitätsentwicklung im Ganztag organisiert der Bund durch Veranstaltungen, wissenschaftliche Studien und Berichte einen wertvollen Fachdiskurs mit. Auch an den „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität der Ganztagsschulen und weiterer ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“, die 2023 von der Kultusministerkonferenz beschlossen wurden, war der Bund beteiligt. Und mit dem ESF-Bundesprogramm „Gemeinsam für Qualität: Kinder beteiligen im Ganztag“ wurden wichtige Impulse gesetzt, um die Beteiligungsstrukturen für Kinder im Schulalltag zu stärken.
Eine zentrale Herausforderung ist und bleibt die Sicherung von Personal für den Ganztag. Nur wenn es uns gelingt, genug Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, werden wir den Rechtsanspruch erfüllen und eine hohe Qualität der Angebote sicherstellen können. Deshalb hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zusammen mit Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und einer Vielzahl von Expert*innen die „Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und Ganztag“ erarbeitet. Sie nimmt Maßnahmen der Fachkräftesicherung in den Blick, die von der Aus- und Weiterbildung über die Erleichterung von Quereinstiegen und Umschulungen sowie die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse bis hin zu verbesserten Arbeits- und Rahmenbedingungen reichen.
Klar ist: Damit Ganztag das Versprechen von Chancengerechtigkeit einlösen kann, muss beim Ausbau ein besonderes Augenmerk auf der Qualität liegen. Das bedeutet hochwertige Angebote, gelebte Partizipationskonzepte, lernfördernde Räumlichkeiten, eine moderne Ausstattung und ein multiprofessionelles Team aus Lehr- und Fachkräften, das gut zusammenspielt. Beim Ganztagsausbau müssen die Kinder im Mittelpunkt stehen. Und dafür braucht es die enge Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen sowie den Trägern von Schulen und der Kinder- und Jugendhilfe.
Interview: Juliane Wlodarczak,
Pressesprecherin, Kinderschutzbund Bundesverband
Wie viele Grundschulkinder besuchen Ganztagsschulen und Tageseinrichtungen?

Anteil an der 6,5- bis unter 10,5-jährigen Gesamtbevölkerung in Prozent nach Bundesländern (2023)
Quelle: Zweiter Bericht der Bundesregierung zum Ausbaustand der ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder nach § 24a SGB VIII, Dezember 2024, S. 8, eigene Darstellung.
Grafik: 365psd.com

