
Vorlesen – eine Superkraft
Gemeinsam in Geschichten eintauchen und dabei auch noch etwas lernen – Vorlesen ist eine echte Superkraft für Kinder. Es hilft ihnen dabei, später selbst leichter Lesen zu lernen, den Wortschatz zu erweitern und sich in andere hineinzuversetzen. Beim Vorlesen können Groß und Klein gleichermaßen entspannen und neue Welten entdecken. Gleichzeitig lernen Kinder erste Buchstaben kennen und entwickeln Mitgefühl für die Protagonisten in der Geschichte.
Viele Eltern lesen ihren Kindern oft erst ab dem zweiten Lebensjahr oder nur sehr unregelmäßig vor und hören schon bei Eintritt in die Schule damit auf. Dabei kann Vorlesen zum tollen Ritual werden, das gemeinsame, positive Erlebnisse schafft. Solche Rituale geben auch älteren Kindern Sicherheit und Orientierung im Alltag und machen fit für alle Schulfächer. Dabei müssen Vorleseerfahrungen nicht zwingend in der Familie gemacht werden: Freiwillige Vorleser*innen bereichern Kinder mit ihren eigenen Erfahrungen, sensibilisieren sie für Themen, die ihnen wichtig sind und sorgen so dafür, dass Kinder gute Chancen für ihre Zukunft haben.
Jedes vierte Kind kann nicht richtig lesen und schreiben
Vorlesen ist alles andere als nur ein schönes Hobby: PISA, IGLU und Co. zeigen, dass jedes vierte Kind die Grundschule verlässt, ohne richtig lesen und schreiben zu können. Wer mit einem solchen Nachteil in seine weitere Schullaufbahn startet, hat es auch in allen anderen Fächern schwer, den Anschluss zu behalten. Jedes Jahr verlassen rund 52.000 junge Erwachsene die Schule ohne einen Bildungsabschluss. Besonders hart trifft es Kinder, die eh schon mit schlechteren Chancen starten: In Deutschland ist der Bildungserwerb immer noch stark an die Voraussetzungen im Elternhaus geknüpft. Wollen oder können die Eltern dort nicht unterstützen, entsteht für die Kinder ein Nachteil, der sich in den klassischen Bildungsinstitutionen wie Kita und Schule nur schwer wieder aufholen lässt.
Laut Vorlesemonitor der Stiftung Lesen versäumen es rund 37 Prozent der Eltern ihren ein- bis achtjährigen Kindern regelmäßig oder überhaupt vorzulesen. In vielen Familien scheitert es bereits an geeignetem Lesematerial für die Kinder, in jeder zweiten Familie gibt es nur wenige Kinderbücher. Häufig hat das mit eigenen Leseerfahrungen aus der Kindheit zu tun: Eltern, denen als Kinder nicht vorgelesen wurde, lesen ihren Kindern deutlich seltener vor, als Eltern die in ihrer Kindheit positive Erfahrungen gemacht haben.
Tipps und Tricks für Vorleser*innen
Warum nicht vorgelesen wird, kann viele Gründe haben. Manche Erwachsene sagen, dass ihnen das Vorlesen keinen Spaß macht, weil die Kinder unruhig sind oder sie beim Vorlesen unterbrechen. Daraus schließen sie häufig, dass die Kinder kein Interesse am Zuhören haben oder das Vorgelesene nicht verstehen. Dabei ist Vorlesen flexibel gestaltbar. Bilder und Geschichten in Kinderbüchern sollen zum Austausch anregen. Nicht alle Sätze müssen vorgelesen werden. Über die gezeigten Bilder kann auch frei erzählt oder Fragen an die Kinder formuliert werden, die so selbst ins Erzählen geraten. Auch schauspielerisches Talent ist nicht zwingend nötig. Die meisten Kinder genießen die gemütliche Atmosphäre und die gemeinsame Zeit, ohne dass verschiedene Stimmen oder besonders viel Spannungsaufbau in der Stimme nötig wären. Mitmachaktionen während des Vorlesens begeistern auch Kinder, die nicht so gern lesen. Brüllen wie ein Dinosaurier oder stampfen wie ein Riese machen Geschichten greifbarer.
Und auch bei älteren Kindern gilt: Es muss gar nicht immer ein klassisches Buch sein. Zeitschriften, Comics, Magazine oder Lese-Apps wie „einfach vorlesen!“ lassen sich auch an der Bushaltestelle oder beim Arzt prima nutzen, um Wartezeiten zu überbrücken. Oft können bei letzteren sogar unterschiedliche Sprachen eingestellt werden. Grundsätzlich gilt: Jedes Kind ist anders. Deswegen ist es wichtig, die Kinder bei der Medien- und Titelwahl zu Wort kommen zu lassen. Ob Märchen, Sachgeschichten oder Erzählungen mit Helden aus dem Fernsehen oder Internet: Richtig ist, was gefällt und die Kinder motiviert, dabei zu bleiben.
Zehn Minuten Vorlesen verändern die Welt
Wenn sich Vorleser*innen und ihre Zuhörer*innen auf die Vorlesesituation einlassen, kann aus dem Geschichten erzählen ein Dialog werden, der Kindern und Erwachsenen Spaß macht und zum Nachdenken anregt. Nachfragen stellen, alternative Handlungsstränge ausdenken oder das Gelesene in Frage stellen und darüber diskutieren: Im Gespräch rund um Geschichten und Märchen üben Kinder viele wertvolle Fähigkeiten für das spätere Leben. Spannende Geschichten machen neugierig und wecken bei Kindern das Interesse an anderen Lebenswelten und Biografien. Sie üben das kritische Denken und beflügeln die eigene Fantasie. Schon zehn bis fünfzehn Minuten tägliches Vorlesen können so einen echten Unterschied machen – und freiwillige Vorleser*innen nachhaltig Türen öffnen. Ob langfristiges Engagement oder erst einmal ausprobieren, allein oder zu zweit: Ein Vorlese-Engagement ist vielseitig, regional und richtet sich nach dem eigenen Terminkalender. Ein Gewinn für beide Seiten.
Mareike Bier, PR- und Kommunikationsmanagerin,
Stiftung Lesen

Campus Stiftung Lesen. Dein Lernort für Leseförderung
Das neue Angebot der Stiftung Lesen heißt: Campus Stiftung Lesen. Die digitale Weiterbildungsplattform bietet Kurse für freiwillig Engagierte und Kita-Fachkräfte an. Hier gibt es Informationen, Tipps und Tricks rund um das freiwillige Engagement und die persönliche Vorlese-Erfahrung: