
Vaterschaft im Wandel
Das traditionelle Bild des Vaters als Alleinverdiener und Feierabend-Papa weicht zunehmend dem Leitbild des aktiven, engagierten Vaters, der sich stärker in die Familienarbeit einbringt. Doch trotz dieser Veränderungen klaffen Wunsch und Realität oft auseinander, da gesellschaftliche und staatliche Rahmenbedingungen weiterhin traditionelle Rollenmuster begünstigen.
Das Bild von Vaterschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Erwartungen an Väter sind keineswegs mehr so eindeutig, wie das früher einmal der Fall war. Noch vor wenigen Generationen war klar: Wird ein Mann Vater, ist er Alleinverdiener, Haushaltsvorstand und bestenfalls Feierabend-Papa. Die Mutter kümmerte sich um Kinder und Haushalt und verzichtete auf Erwerbsarbeit. 1
Dieses sogenannte Ernährermodell hat sich vor allem durch Frauen verändert. Heute ist es selbstverständlich, dass auch Mütter berufstätig sind. Dennoch tragen sie weiterhin die Hauptlast familialer Sorgearbeit. Väter arbeiten weiterhin meist Vollzeit und sind Hauptverdiener, während Mütter in Teilzeit arbeiten und Familie und Haushalt managen. Zunehmend haben aber auch Väter ein Vereinbarkeitsproblem, viele wollen sich mehr in die Familienarbeit einbringen. Die Erwartungen, die von außen an Väter herangetragen werden und die sie auch an sich selbst stellen, sind vielfältiger und manchmal auch widersprüchlicher geworden.
Der normative Rahmen, in dem sich diese Veränderungen vollziehen, bleibt jedoch das modernisierte Ernährermodell, in dem die Zuständigkeiten zwischen den Geschlechtern noch immer klar verteilt sind. So spricht man nun von einer „berufstätigen Mutter“, nicht aber von einem „berufstätigen Vater“– dieser gilt als selbstverständlich. Auch staatliche Strukturen wie das Ehegattensplitting, die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse, Minijob-Regelungen, die Angebotsstruktur der Kindertagesbetreuung oder das teilweise Fehlen von schulischen Ganztagsangeboten unterstützen dieses Modell.
Wenn wir über Veränderungen von Vaterschaft sprechen, müssen wir bedenken, dass individuelle Einstellungen und Verhaltensweisen immer auch durch soziokulturelle Normen und staatliche Rahmenbedingungen geprägt sind. Auch die betriebliche Ebene sowie die Dynamik von Paarbeziehungen spielen dabei eine Rolle.
Neue Leitbilder – neues Selbstverständnis
Eine wesentliche Veränderung ist, dass sich über die letzten Jahrzehnte aktive Vaterschaft als gesellschaftliches Leitbild etabliert hat. Von Vätern wird heute erwartet, dass sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, eine eigene und zugewandte Beziehung zu ihren Kindern pflegen und sich stärker in die familiale Sorgearbeit einbringen. Mehrheitlich wollen das auch die Väter: Der Wunsch nach mehr Zeit für Kinder und Familie steht weit oben auf ihrer Liste. Väter sind heute überwiegend bei der Geburt dabei, viele nehmen berufliche Auszeiten, manche reduzieren auch ihre Arbeitszeit, wenn die Kinder klein sind. Fast jeder zweite Vater nimmt Elterngeld in Anspruch, wenn auch meist nur für zwei Monate (BMFSFJ 2023). 83 Prozent der Männer in Deutschland stimmen heute der Aussage zu, dass es gut für eine Partnerschaft sei, wenn beide berufstätig sind (BFM 2023).
Diese Entwicklung – sowohl in Einstellungen und Leitbildern als auch in der konkreten Praxis als Vater – wird oft mit dem Begriff „neue Väter“ bezeichnet. Neu ist dabei vor allem, wie Väter sich gegenüber ihren Kindern und in Erziehungsfragen einbringen. Viele Väter sind heute präsenter in der Familie und im Umgang mit ihren Kindern stärker engagiert als ihre eigenen Väter oder Großväter (vgl. Seiffge-Krenke 2016, Kassner 2019). Unbestritten ist in der Forschung zu frühkindlicher Entwicklung mittlerweile, dass Väter prinzipiell die Eignung und Befähigung besitzen, bereits von Anfang an eine Bindung aufzubauen und feinfühlig auf die Bedürfnisse von Säuglingen und kleinen Kindern einzugehen. Wie auch Mütter, können Väter das nicht „von Natur aus“, sondern es ist ein Erfahrungswissen, das in konkreter Interaktion mit dem Kind entsteht. Darum ist es wichtig, dass Väter diese Erfahrungsräume nutzen, um elterliche Kompetenzen zu entwickeln und Selbstwirksamkeit als Vater zu erleben.
Die Rolle des Vaters für Kinder
Für die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern hat dies in der Regel positive Auswirkungen. In der Forschung wird oft hervorgehoben, dass Väter anders als Mütter mit ihren Kindern umgehen und damit anderes Anregungs- und Entwicklungspotenzial bieten. Für Kinder kann die Beziehung zu ihren Vätern eine wichtige Ressource sein, die ihnen hilft, Selbstvertrauen und soziale Kompetenz zu entwickeln. Eine positive Vater-Kind-Beziehung kann das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit der Kinder langfristig fördern. Kritisch ist jedoch, dass mit einer solchen Perspektive geschlechterstereotype Bilder einhergehen von „dem“ Vater, „der“ Mutter und von ihrer jeweiligen Bedeutung für die kindliche Entwicklung und geschlechtsspezifische Sozialisation. Im Alltag in der Familie sind Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse aber ein beständiges Hin und Her zwischen Aneignung, Identifikation und Abgrenzung in Auseinandersetzung mit konkreten Beziehungspersonen. Insofern ist ein anwesender und emotional greifbarer Vater zum einen schlicht Teil eines Familiensystems, in dem beide Eltern in ihrer je individuellen Eigenart zur Verfügung stehen. Zum anderen ist er auch ein Repräsentant von Männlichkeit und Väterlichkeit, an dem sich Kinder orientieren oder abarbeiten können. Dies gilt umso mehr und vielleicht auch stärker noch für Jungen, da Kinder außerfamilial in Kita und Grundschule in Bildungskontexten aufwachsen, die weitgehend durch weibliche Erwachsene geprägt sind.

Wunsch und Wirklichkeit
Neben dem Bild des aktiven Vaters bleibt das Bild des Familienernährers weiter bestehen. Einerseits als gesellschaftliche Anforderung, andererseits als Erwartung in der Paarbeziehung und als Selbstbild, das noch immer große Wirkmacht hat. Für viele Männer ist nach wie vor klar: Vaterschaft und Familiengründung bedeutet zuallererst, die Verantwortung für das Familieneinkommen zu übernehmen.
Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander, besonders bei der partnerschaftlichen Aufteilung von Sorgearbeit in der Familie. Hier spielen die genannten gesellschaftlichen, staatlichen und betrieblichen Rahmenbedingungen ebenso eine Rolle, wie konkrete Aushandlungsprozesse auf der Paarebene. Selbst wenn Paare vor der Familiengründung gleichberechtigte Vorstellungen zur Arbeitsteilung hatten und beide Vollzeit erwerbstätig waren, finden sie sich danach in der Regel in traditionellen Arrangements wieder. Die Mutter bleibt zunächst zuhause, steigt dann in Teilzeit wieder ein und übernimmt die Hauptverantwortung für Kindererziehung und Haushalt. Der Vater bleibt in Vollzeit erwerbstätig, gegebenenfalls durch eine kurze Auszeit unterbrochen, sorgt für das Familieneinkommen und versucht so gut es geht präsent zu sein. Durch biografische Entscheidungen entstehen so Pfadabhängigkeiten im Lebensverlauf von Frauen und Männern.
Die Familiengründung ist das zentrale Ereignis, an dem sich eine vormals partnerschaftliche Aufteilung oder der Wunsch danach in das Gegenteil verkehrt und eine Retraditionalisierung einsetzt. Vorhandene Daten und Befunde verdeutlichen dies anschaulich. Mit 44 Prozent ist ein egalitäres Arrangement (beide in Vollzeit oder Teilzeit mit geteilter Hausarbeit und Kinderbetreuung) heute mehrheitlich die ideale Erwerbs- und Familienkonstellation für Eltern. 28 Prozent wünschen sich ein modernisiertes Ernährermodell (Vater Vollzeit, Mutter Teilzeit). Lediglich 18 Prozent halten ein klassisches Ernährermodell (Vater in Vollzeit und Mutter als Hausfrau) für ideal (IfDA 2022). Mikrozensusdaten zu Erwerbskonstellationen von Paaren mit Kindern zeigen hingegen, dass das klassische Modell in Deutschland noch immer von 26 Prozent der Eltern gelebt wird. Mehrheitlich dominiert mit 44 Prozent das Erwerbsarrangement des modernisierten Ernährermodells. Egalitäre Arrangements (beide Vollzeit oder beide Teilzeit) lassen sich dagegen nur bei 21 Prozent der Eltern mit Kindern finden (BMFSFJ 2023).
Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit zeigt sich nicht nur bei den Erwerbskonstellationen von Paaren, sondern auch unmittelbar bei der Frage nach der Zeitverwendung für Kinderbetreuung. Laut Umfragen beklagen viele Väter immer wieder, zu wenig Zeit mit ihren Kindern zu haben. Die Teilzeitquote bei Vätern ist im Gegensatz zu Müttern allerdings verschwindend gering. Und auch wenn Väter heute mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als noch vor 10 Jahren, wenden Mütter durchschnittlich pro Tag etwa eine Stunde mehr und damit fast doppelt so viel Zeit für Kinderbetreuung auf wie Väter (Destatis 2024).

Individuelles Verhalten und strukturelle Rahmenbedingungen
Die gesellschaftlichen Anforderungen an Väter heute, die viele von ihnen selbst teilen, sind widersprüchlich. Der Versuch, diesen Anforderungen und Erwartungen zu entsprechen, kann schnell zur Überforderung führen. Umso wichtiger ist es, von Beginn an Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Vätern erleichtern, ihren Wunsch nach Beteiligung und aktiver Vaterschaft umzusetzen. Dies eröffnet ihnen einerseits Erfahrungsräume, um eine eigene Beziehung und emotionale Nähe zu ihren Kindern zu entwickeln, die ein Leben lang trägt. Andererseits bietet es die Chance, Sorgearbeit partnerschaftlicher zu teilen, damit Mütter sich stärker beruflich entfalten können.
Insofern braucht es sowohl „neue“ Väter als auch „neue“ Mütter, um Elternschaft und Arbeitsteilung als gemeinsames Projekt voranzubringen. Viele Mütter sind in dieser Hinsicht bereits vorausgegangen. Auch Väter haben sich auf den Weg gemacht, aber noch eine gute Strecke vor sich. Vor allem diejenigen Väter müssen dabei differenziert angesprochen und unterstützt werden, die aktive Vaterschaft und mehr Partnerschaftlichkeit offen gegenüberstehen. Das sind keineswegs alle Väter, wie beispielsweise die Vätertypologie im aktuellen Väterreport der Bundesregierung zeigt (BMFSFJ 2023). Aber es sind etwas mehr als die Hälfte der Väter, die als „überzeugte Engagierte“ (21 Prozent), als „zufriedene Pragmatiker“ (20 Prozent) oder als „urbane Mitgestalter“ (11 Prozent) erreichbar sind oder sich bereits auf den Weg gemacht haben. Geeignete politische Instrumente zur Väteraktivierung sind bekannt und die Ampelkoalition hatte sich in dieser Hinsicht einiges vorgenommen, was nun nicht mehr umgesetzt werden wird. Eine bezahlte zweiwöchige Freistellung für Väter nach Geburt (Familienstartzeit), die Anpassung des Elterngelds an die Preisentwicklung sowie die Ausweitung der Partnermonate bleiben aber zentrale Maßnahmen, die sich auch eine zukünftige Bundesregierung wird vornehmen müssen, wenn sie die Übernahme von Sorgearbeit durch Väter stärken und von Beginn an fördern will.
1 Im Folgenden fokussieren wir auf heterosexuelle Paare mit Kindern, die gemeinsam in einem Haushalt leben. Diese machen einen Großteil der Familienformen in Deutschland aus. Wir betrachten weder alleinerziehende Väter (Kinder leben bei ihnen im Haushalt) noch getrennte Väter (Kinder leben bei der Mutter im Haushalt). Auch auf queere bzw. schwule Vaterschaft können wir hier nicht weiter eingehen.
Karsten Kassner und Dr. Marc Gärtner,
Referenten in der Geschäftsstelle des Bundesforum Männer, bundesweiter Dachverband für gleichstellungsorientierte Jungen-, Männer- und Väterpolitik
Kinder und Jugendliche brauchen Erwachsene, auf die sie sich verlassen können
(…) Familien sind für den Kinderschutzbund alle Formen des Zusammenlebens von Kindern und Erwachsenen, in denen Erziehungsverantwortung getragen wird und zwischen Kindern und Erwachsenen dauerhafte Beziehungen bestehen oder/und sich entwickeln. (…)
Aus dem Kinder- und Jugendpolitischen Grundsatzprogramm des Kinderschutzbundes, Stand: Mai 2024