Schwerpunkt

Väter in den Frühen Hilfen

Väter sind heute bei der Erziehung ihrer Kinder viel präsenter als früher. Sie beteiligen sich stärker an der Pflege und Betreuung der Kinder. In Präventionsangeboten für Familien in der Schwangerschaft und den ersten drei Lebensjahren des Kindes (Frühe Hilfen) werden Väter allerdings selten adressiert. Dr. Christoph Liel arbeitet als wissenschaftlicher Referent in der Fachgruppe „Familienhilfe und Kinderschutz“ am Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI) und blickt in seiner Forschung hauptsächlich auf Väter.

Was bedeutet die Geburt des ersten Kindes für Väter?

Foto: DJI/David Außerhofer

CHRISTOPH LIEL: Die Geburt eines Kindes ist ein einschneidendes und zumeist sehr schönes Erlebnis, das das Leben für Männer, die dann Väter werden, grundlegend verändert. Die neue Familiensituation geht häufig mit Unsicherheit bei beiden Elternteilen einher. Eltern fragen sich: Wie gehen wir mit unserem Kind richtig um? Wie wollen wir es erziehen? Wie macht man das am besten? Dafür müssen sich Eltern gut miteinander abstimmen. Was die Geburt eines Kindes bei Vätern auslöst, hängt auch von den Umständen ab, unter denen das Kind geboren wird: Ist das Kind gewollt, haben sich beide Eltern gemeinsam für ein Kind entschieden? Kommt das Kind möglicherweise zu früh in der Lebensplanung? Oder besteht die Partnerschaft nicht mehr? Hier gibt es viele mögliche Konstellationen, durch die sich das Erleben der Geburt für Väter unterschiedlich gestalten kann.

Wovon hängt es ab, wie stark sich Väter an der Erziehung und Kinderbetreuung beteiligen?

CHRISTOPH LIEL: Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Zwänge spielen eine Rolle, genauso wie die Familienbilder, von denen wir sehen, dass sie sich über die Jahre sehr stark verändert haben. Mittlerweile ändert sich das gesellschaftlich vorherrschende Familienbild von einem traditionellen hin zu einem Familienverständnis, bei dem sich beide Eltern an der Erziehung beteiligen. Allerdings meist ungleich. Der Mann ist häufig in Vollzeit erwerbstätig, die Mutter in Teilzeit. Dann kommt es auch auf die konkreten Bedingungen in der Familie sowie die Entscheidung des Paares zur Rollenverteilung und des Vaters selbst an, wie stark er sich an der Erziehung beteiligen möchte und kann. Gleichstellungspolitische Maßnahmen wie Elternzeit und Elterngeld haben positive Auswirkungen, weil Väter in den ersten Wochen und Monaten gezielt Zeit mit ihrem Kind verbringen können. Das unterstützt den Aufbau einer eigenständigen Vater-Kind-Bindung und kann somit Sicherheit und Engagement in der Kinderziehung befördern. Ich halte es für wichtig, Väter darin zu unterstützen, auch alleine Zeit mit dem Kind zu verbringen. Insgesamt sieht man eine stetig steigende Präsenz von Vätern im Alltag der Kinder im Vergleich zu früheren Generationen.

Werden Väter in den Präventions- und Hilfsangeboten für Familien ausreichend berücksichtigt?

CHRISTOPH LIEL: Es gibt mittlerweile viele Bemühungen Väter anzusprechen, zum Beispiel in Materialien für die Öffentlichkeit. Spezifische Angebote für Väter sind vor Ort allerdings vielfach Mangelware. Die Frühen Hilfen sind immer noch auf die Förderung der Mutter-Kind-Bindung ausgelegt, das ist auch richtig. In Bezug auf die Väter gibt es noch Nachholbedarf, sowohl was väterspezifische Angebote angeht als auch Ideen und Konzepte, Väter in bestehenden Angeboten anzusprechen und zu integrieren. Manche Väter fühlen sich beispielsweise in Krabbelgruppen, in denen hauptsächlich Mütter teilnehmen, fehl am Platz. Wir brauchen also Angebote, von denen sich Väter angesprochen fühlen. Diese Angebote sollten – das zeigt die Forschung – Väter proaktiv einbeziehen zum Beispiel bei Hebammenbesuchen zuhause, statt auf Eigeninitiative zu warten. Niedrigschwellige Angebote können zum Beispiel Väteraktionstage, Väterstammtische oder angeleitete Babymassagen sein. Bei Vätern läuft sehr viel über gemeinsame Aktivität. Natürlich sollte man auch im Blick zu haben, welche Angebote bei welchen Familienkonstellationen sinnvoll sind und bei welchen eher nicht. Wenn die Väter beispielsweise schwerwiegende psychosoziale Belastungen wie eine Alkohol- oder Gewaltproblematik aufweisen, brauchen sie zunächst spezifische Hilfen, in die sie vermittelt werden sollten. Ein vernetztes Hilfesystem ist deshalb sehr sinnvoll.

Wie können Väter angesprochen werden?

CHRISTOPH LIEL: Wenn Väter in die Beratung kommen, sollten sie gezielt angesprochen werden: „Schön, dass Sie da sind, Ihre Sichtweise ist wichtig, Ihre Expertise wird gebraucht.“ Mein Eindruck ist, dass auf Seiten der Fachkräfte noch viel Unsicherheit herrscht, wie man mit Vätern am besten umgehen kann. Ein anderer Punkt ist, Väter möglichst frühzeitig und proaktiv einzubeziehen. Viele Väter würden sich selbst zunächst nicht in Beratungen oder in Bildungsangebote begeben, sind aber umso offener, wenn sie erst einmal Vertrauen gefasst haben. Für Fachkräfte hilft es, Väter als potenzielle Ressource zu begreifen – für das Kind und für die Hilfen. Schließlich vervollständigen Väter für Fachkräfte das Bild von der Familie. Auch die Rahmenbedingungen sind wichtig: Die Zeiten der Angebote müssen für Väter passen, wobei sich durch die Flexibilisierung der Arbeitszeiten die Möglichkeiten vergrößert haben. Und die Einrichtungen sollten auch für Väter ansprechend eingerichtet sein. Die Arbeitsweise der Fachkräfte sollte lösungsorientiert und motivierend sein, ohne zu belehren. Viele Väter sind in der ersten Zeit mit dem Kind unsicher und gerade belastete Väter oft auch eher isoliert.

Warum ist es wichtig, Väter in Angebote der Frühen Hilfen einzubeziehen?

CHRISTOPH LIEL: Väter sind ein Teil der Familie und genauso Bindungspersonen des Kindes wie Mütter. In der Familienwissenschaft bewegen wir uns zunehmend weg von der Vorstellung der primären Dyade, also der Mutter-Kind-Beziehung, hin zu Beziehungsnetzwerken des Kindes. Diese Vorstellung bezieht nicht nur Väter, sondern alle Personen ein, die in der Familie für Kinder da sind. Alle Bindungsbeziehungen eines Kindes sind zu berücksichtigen. Dann erhält man ein vollständigeres Bild von den Ressourcen und auch Belastungen, die in einer Familie vorliegen. Zudem zeigt die Kinderschutzforschung, dass Hilfsmaßnahmen langfristig erfolgreicher wirken können, wenn man beide Elternteile einbezieht, als wenn man nur mit einem Elternteil arbeitet.

Wie wirkt sich eine gute Vater-Kind-Beziehung auf die kindliche Entwicklung aus?

CHRISTOPH LIEL: Für die Entwicklung und Gesundheit eines Kindes ist eine positive Vater-Kind-Bindung vorteilhaft. Um sie zu fördern, braucht es nicht immer große Maßnahmen. Väter können sich in kleinen Dingen stärker beteiligen, wie zum Beispiel bei der angesprochenen Babymassage. Durch viel Kontakt mit dem Kind von Anfang an wird der Vater sicherer im Umgang und kann leichter andere Aufgaben übernehmen, die emotionale Nähe zum Kind erfordern (zum Beispiel es ins Bett bringen). Das hat positive Effekte für das Kind, aber auch für die ganze Familie. 

Aus der entwicklungspsychologischen Forschung wissen wir, dass ein Kind für eine positive Entwicklung mindestens eine verlässliche Bindungsperson braucht. Es ist nicht per se so, dass ein Kind, das keinen Kontakt zu seinem Vater hat, Probleme haben wird. Aber Väter und Mütter nehmen unterschiedliche Rollen im Leben von Kindern ein und sind für unterschiedliche Entwicklungsaufgaben zuständig. Bei Vätern geht man zum Beispiel davon aus, dass sie die Problemlösekompetenz von Kindern in der Interaktion mit anderen stark unterstützen. Sie fördern die Fähigkeiten von Kindern, sich außerhalb der Familie zu bewegen und führen Kinder an Grenzen heran. Das Spiel von Vätern und Müttern unterscheidet sich: Väter spielen oft körper- und bewegungsorientierter mit Kindern, sie sind häufig zuständig für das Raufen mit den Kindern. Kinder brauchen männliche Identifikationsfiguren. Diese Rolle können aber auch Personen außerhalb der Familie einnehmen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Frühen Hilfen?

In den Frühen Hilfen sollten wir mehr ausprobieren. Wir brauchen mehr Ideen und Konzepte mit Vätern zu arbeiten, um mehr Praxiserfahrungen und Wissen sammeln zu können. Auch digitale Angebote können eine sinnvolle Ergänzung sein.

Buchempfehlung

Väter in den Frühen Hilfen.
Impulse für ein systemisches Elternverständnis

Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.)
Andreas Eickhorst, Christoph Liel (verantwortliche Leitung der Autorengruppe)

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Ausgabe 24-4

Schwerpunkt

Vaterschaft im Wandel

Politik und Praxis

Kinder- und Jugendpolitik

Kinderschutz vor Ort

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