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Kinder- und Jugendpolitik

Kinder vor der Kamera

Der Kinderschutzbund setzt sich seit Jahren für den Schutz von Kindern vor der Kamera ein. Anfangs standen Dokumentationen, Dokusoaps und Reality-Fernsehen im Fokus, heute sind es Sharenting, Kinder-Influencer*innen und Familienblogger*innen im Internet. Diesen Formaten fehlen gesetzliche Grundlagen, die die Interessen der beteiligten Kinder ausreichend schützen.

Elias, sieben Monate alt, ist der ganze Stolz seiner Mutter. Täglich warten hunderttausende Follower*innen auf neue Posts von ihm. Seine Mutter berichtet über fiebernde Nächte, Windelinhalte und erste Krabbel-Versuche. Elias posiert in Designer-Jäckchen oder nachhaltigen Windeln. Seit seiner Geburt füllt er den Account seiner Mutter, einer Momfluencer*in. Elias ist ein fiktives Beispiel, doch Momfluencer*innen wie seine Mutter, gibt es zahlreich bei Instagram. Die schöne neue Welt hat eine Schattenseite: Die Kinderrechte bleiben oft unbeachtet.

Sharenting und Influencing

In unserer digitalisierten Gesellschaft nutzen viele Menschen soziale Medien, um sich zu informieren, auszutauschen oder Fotos und Videos zu teilen. Gerade der Umgang mit Fotos und Videos im Netz nimmt ungeahnte Ausmaße an und birgt große Risiken. Der Kinderschutzbund beobachtet das Phänomen des Sharentings mit großer Sorge. Sharenting, ein Kofferwort aus dem Englischen „sharing“ (teilen) und „parenting“ (Elternschaft), beschreibt das Teilen von Kinderbildern im Netz. Es sind sowohl Privatpersonen, die oft unbedacht zahlreiche Fotos und Videos ihrer Kinder ins Netz stellen. Es meint aber auch Influencer*innen, die ihre Kinder im Familienalltag öffentlich zeigen. Vor allem die professionellen und kommerziellen Influencer*innen stellen aus kinderrechtlicher Perspektive ein zunehmendes Problem dar. 

Sie erzielen oft erhebliche Einkommen und das teilweise schon bei mehreren tausend Follower*innen. Für die Kinder bedeutet das: keine Privatsphäre, das Zuhause ist kein geschützter Raum, die Freizeitgestaltung hängt von Drehtagen ab und die Eltern agieren als Produzent*innen des Familien-Business. Elternfluencer*innen zeigen ihren Familienalltag teils jahrelang, ein Millionenpublikum sieht die Kinder live aufwachsen. Einmal im Netz, können die Daten die Kinder ihr Leben lang verfolgen.

Appell an Politik und Gesellschaft

Der Kinderschutzbund fordert, dass geltende Mindestaltersgrenzen sowie Regelungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes auch in sozialen Netzwerken kontrolliert werden. Jugendämter, Aufsichtsbehörden und Datenschutzbeauftragte müssen die Durchsetzung der Vorschriften im digitalen Raum sicherstellen.

Es besteht dringender Handlungsbedarf für politische und gesetzgeberische Aktivitäten. Der Kinderschutzbund appelliert an alle Erziehungsverantwortlichen, beim Veröffentlichen von Kinderfotos und -videos die Konsequenzen zu bedenken und die Kinderrechte zu wahren. Kinder sollten die Chance haben, eine eigene digitale Identität ohne Vorbelastung zu entwickeln. Sie sollten im Netz nicht erkennbar sein, um ihre Grundrechte zu schützen und Risiken zu vermeiden. Je mehr Daten über Kinder im Netz verfügbar sind, desto größer ist das Risiko von Missbrauch, etwa im Kontext sexualisierter Gewalt oder Identitätsdiebstahl. Die Devise sollte lauten, so wenige Fotos und Videos wie möglich von Kindern in sozialen Netzwerken zu teilen. Im Vordergrund der Entscheidung, das eigene Kind für Werbeinhalte vor die Kamera zu stellen, sollten immer die Kinderrechte gemäß der UN-Kinderrechtskonvention und das Jugendarbeitsschutzgesetz stehen. Der Kindeswohlvorrang hat oberste Priorität. Kinder haben, genau wie Erwachsene, das Recht am eigenen Bild.

Forderungen des Kinderschutzbundes

Eine flächendeckende Aufklärung über Kinderrechte im digitalen Raum ist notwendig. Kinder, Jugendliche, Eltern, Erziehungsberechtigte und pädagogische Fachkräfte müssen über alle Kinderrechte, die auch in der digitalen Welt gelten, informiert sein. Auch die Grundrechte (Recht auf Würde und informationelle Selbstbestimmung), das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Datenschutz, Kinderrechte und das Jugendarbeitsschutzgesetz sollten allen bekannt sein.    

Alle Beteiligten im System der Familienblogger*innen und Kinder-Influencer*innen, einschließlich Auftraggeber*innen (Firmen, Unternehmen, Agenturen), Plattformen (Instagram, YouTube & Co.) und Aufsichtsbehörden, müssen Kinderrechte im Blick haben und sich an die gesetzlichen Regelungen halten. Verstöße und Verdacht auf Kindeswohlgefährdung müssen gemeldet werden können. Dazu bedarf es umfassender Aufklärung und Medienkompetenzförderung, um besseren Kinderschutz und die Rechte auf Teilhabe und Befähigung im Netz sicherzustellen. 

Der Kinderschutzbund fordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für mehr Kinderschutz im Netz zu aktualisieren, zu überprüfen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Auftraggeber*innen müssen zur Verantwortung gezogen und ethische Richtlinien für Werbeaufträge im Internet etabliert werden. Plattformen sind kindgerecht zu gestalten. Meldefunktionen und Hilfsangebote müssen transparent dargestellt und technischer Jugendmedienschutz angewendet werden. In die Forschung über Kinderarbeit – auch im digitalen Raum – sind mehr Investitionen zu tätigen. 

Diese Maßnahmen können Kinder wie Elias vor Risiken und Gefahren im digitalen Raum schützen und ihnen ein selbstbestimmtes Aufwachsen in der digitalisierten Gesellschaft ermöglichen, ohne ihre Rechte zu verletzen.

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Ausgabe 24-4

Schwerpunkt

Vaterschaft im Wandel

Politik und Praxis

Kinder- und Jugendpolitik

Kinderschutz vor Ort

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