
Fachkräfte gesucht
Die sozialen Berufe leiden an Personalmangel. Das Problem hat viele Ursachen, das macht eine schnelle Lösung unwahrscheinlich. Die Träger sehen sich von der Politik zum Teil allein gelassen. Manche haben eigene Strategien entwickelt, um mit den vorhandenen Fachkräften weiterhin eine möglichst gute Qualität sicherzustellen und das eigene Personal zu binden, wie ein Blick in zwei Ortsverbände zeigt.
Allein in den Kitas fehlen bundesweit rund 125.000 Fachkräfte. So beziffert es der Paritätische Gesamtverband in seinem Kitabericht 2024. „Insbesondere in den westlichen Bundesländern ist nicht damit zu rechnen, dass der Fachkräftemangel auf absehbare Zeit verringert wird“, so Niels Espenhorst, Referent Kindertagesbetreuung im Paritätischen Gesamtverband. Ein Grund dafür sei, „dass es keine effektive Erhebung offener Stellen gibt“, der tatsächliche Bedarf an Fachkräften also gar nicht ermessen werden kann und „systematisch unterschätzt wurde“.
Dieser Mangel dürfte sich mit dem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz in Grundschulen, der ab August 2026 zunächst den ersten Klassen zustehen wird, weiter verschärfen.
Theorie und Praxis klaffen auseinander
Die Diskrepanz zwischen offizieller Einschätzung und Praxis zeigt sich in den Einrichtungen schon lange. „Auf dem Papier, also gemäß der Stellenbesetzung nach dem Kinderbildungsgesetz (KiBiz), ist die Personalsituation in den Einrichtungen des Paritätischen Gesamtverbandes okay. Aber in der Praxis fehlen so gut wie täglich Mitarbeitende aufgrund von Urlaub, Weiterbildung, Berufsschule oder eben Krankheit. Zum Teil muss daher das Angebot begrenzt werden.“ Wie so oft, wenn es um Kinder und ihre Belange geht, ist das Dunkelfeld groß. Doch bereits der offiziell angenommene Mangel ist alarmierend und die Auswirkungen werden immer spürbarer.
„Eltern und Mitarbeitende müssen sich weiterhin auf nachlassende Qualität und reduzierte Öffnungszeiten einstellen. Die volkswirtschaftlichen Einbußen dieser Mangelverwaltung dürften erheblich sein. Aber besonders leidtun sollten uns die Kinder, die eine bessere Betreuung verdient hätten“, so Espenhorst.
Weckruf der Wissenschaft
Die Auswirkungen schlechter Betreuung auf Kinder lässt sich wissenschaftlich nachweisen. Rahel Dreyer, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alice Salomon Hochschule in Berlin hat dazu geforscht und belegt, dass der Fachkräftemangel nicht nur Stress für die Erzieher*innen bedeutet, sondern auch für die Kinder, die ihn besonders schlecht verarbeiten können. Dreyer hat daher mit 300 anderen Wissenschaftler*innen ein Sondervermögen von der Bunderegierung gefordert, um dem Mangel entgegenzuwirken und die Qualität zu verbessern. Auch der Kinderschutzbund betont, dass unter der aktuell angespannten Lage in der Kindertagesbetreuung insbesondere die dort betreuten Kinder leiden: „Durch den Fachkräftemangel und die zunehmend hohe Arbeitsbelastung der Betreuenden bleibt immer weniger Zeit für die Bedürfnisse und Bedarfe der einzelnen Kinder“, hieß es bereits im Juli 2024 in einer Reaktion auf den Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung.
Der Druck auf die Politik könnte kaum höher sein, doch bisher bleiben die Finanzierung und Qualitätssicherung unter schlechten Bedingungen Sache der Träger.
Selfmade-Strategien gegen den Fachkräftemangel
Manch einer wird selbst aktiv. „Bei uns zeigt sich der Fachkräftemangel vor allem in den stationären Einrichtungen, weil dort im Schichtdienst gearbeitet wird“, berichtet Carola Bensel, Fachbereichsleiterin des Kinderschutzbundes Ortverein Ostholstein.
Arbeitsbereiche mit herausfordernden Rahmenbedingungen wie Schichtdiensten konkurrieren mit jenen, die zumindest familientaugliche Arbeitszeiten zu bieten haben. Das kann auch Nina Schubert, Geschäftsführerin beim Kinderschutzbund Ortsverein Essen, bestätigen: „In unseren Notaufnahmen sind wir vom Fachkräftemangel stark betroffen, können aber die Kinder nicht einfach abholen lassen, sondern müssen den Betrieb unter allen Umständen aufrechterhalten.“ Die Kindernotaufnahmen „Spatzennest“ und „Kleine Spatzen“ bieten im Rahmen der Stationären Hilfen insgesamt 26 Plätze zur Inobhutnahme von Kindern in Krisensituationen. Hier zeigt sich der Mangel an einer Stelle, die besonders sensibel ist. Denn hier werden Kinder betreut, die besonders dringend Unterstützung und Förderung, also qualitativ hochwertige Begleitung brauchen.
„In den Kindertagesstätten, der offenen Ganztagsschule und in der Schulsozialarbeit haben wir keinen Fachkräftemangel, da wir uns in der Region einen Namen als guter Arbeitgeber erworben haben. Dazu gehören auch Tariflöhne“, sagt Carola Bensel. Das ist jedoch längst nicht alles. Der Ortsverein Ostholstein bietet seinen Beschäftigten neben einer leistungsgerechten Bezahlung viele weitere Extras. Darunter eine betriebliche Altersversorgung, flexible Arbeitszeiten, Gesundheitsförderprogramme, Jobrad und Jobticket sowie Rabatte für die Kinderbetreuung. Beinahe ebenso wichtig sind die Netzwerkarbeit und Suche nach Kooperationen. So arbeitet der Ortsverein mit der IU Internationalen Hochschule Lübeck als Praxispartner für Studierende und der Erzieherschule Lensahn eng zusammen. Der Träger bleibt zudem in ständigem Kontakt zur Belegschaft und schafft regelmäßig Austauschgelegenheit bei Mitarbeitergesprächen, Coachings und Gemeinschaftsveranstaltungen.
Auch der Ortsverein Essen setzt auf eine ganze Palette an Maßnahmen, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Eine Maßnahme ist die praxisintegrierte Ausbildung: „Wir haben aktuell rund 25 pädagogische Auszubildende pro Jahrgang und hohe Übernahmequoten von rund 80 Prozent.“ Neben den dringend gebrauchten und für viele Aufgaben unentbehrlichen Erzieher*innen setzt der Ortsverein auch auf Ergänzungskräfte wie Kinderpfleger*innen sowie Studierende aus sozialen und pädagogischen Studiengängen, die mitunter auch nach dem Abschluss bleiben. Angebote für Coaching und Teamentwicklung sind ebenfalls Teil der Personalentwicklung.
So engagiert viele Einrichtungen für sich werben, das Problem bleibt: Die verschiedenen Bereiche werben Fachkräfte untereinander ab. Pädagogische Fachkräfte fehlen grundsätzlich und sie fehlen massiv. Hier ist die Politik gefragt, das Arbeitsfeld attraktiver zu gestalten und zu vergüten. Ein Anfang wäre zum Beispiel die Abschaffung des Schulgeldes für angehende Erzieher*innen, das noch in vielen Bundesländern verlangt wird. In Berlin haben die Erzieher*innen der landeseigenen Kitabetriebe für verbesserte Personalschlüssel gestreikt. Damit war auch die Hoffnung verbunden, mehr Menschen für den Beruf zu werben und den Vollzeit-Anteil in den Einrichtungen zu erhöhen. Die anspruchsvolle Arbeit in stationären Einrichtungen sollte sich ebenfalls sowohl in Gehältern als auch guten Rahmenbedingungen widerspiegeln. Und auch die Arbeit in den Jugendämtern wäre für viele sicherlich attraktiver, wenn weniger „Feuerwehreinsätze“ nötig und stattdessen gute und sinnvolle Präventionsstrategien umgesetzt werden könnten.
Sarah Janine Flocke, Mitglied des Vorstandes,
Kinderschutzbund Ortsverein Essen e.V.

