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Politik und Praxis

Resilienz für Grundschulkinder

Viele Erwachsene beglückwünschen Erstklässler*innen noch immer mit dem Spruch „Na, jetzt beginnt der Ernst des Lebens!“. Der Ernst des Lebens hat für viele Grundschüler*innen allerdings schon längst begonnen. Der Kinderschutzbund Bonn bietet seit 1994 mit dem Angebot „Meine Auszeit“ Unterstützung für Kinder an drei Bonner Grundschulen an. 

Viele Familien haben mit großen Herausforderungen zu kämpfen und finden sich häufig in komplexen Problemsituationen wieder. Armut, Gewalt, Fluchterfahrungen, Überforderungen der Bezugspersonen oder Trennungskonflikte stellen für Kinder enorme Belastungen dar. Besonders betroffenen Kindern widmet sich der Kinderschutzbund mit einem ungewöhnlichen Programm.

Struktur des Angebotes  

Das Angebot „Meine Auszeit (MAZ) – Resilienz für Grundschulkinder“ ist an der Jahnschule, der Karlschule und der Bernhardschule an vier Vormittagen mit Haupt- und Ehrenamtlichen präsent. Es wird zu großen Teilen von der Stadt Bonn aus Präventionsmitteln gefördert. Alle pädagogischen Fachkräfte einer Schule können Kinder für das Angebot vorschlagen. Oft sind dies Kinder, die im schulischen Alltag Schwierigkeiten haben, sich in die Klassengemeinschaft zu integrieren, die durch Rückzugsverhalten auffallen oder aber schwierige familiäre Bedingungen mitbringen. Nach einem Gespräch mit der jeweiligen Klassenlehrerin hospitieren die hauptamtlichen Koordinatorinnen des Kinderschutzbundes Bonn in der betroffenen Klasse, um das Kind in der sozialen Interaktion kennenzulernen. Dies ist wichtig, um die richtige Bezugsperson für das Kind zu finden. Jedes Kind wird altersgerecht in den Entscheidungsprozess einbezogen.

Wenn eine Aufnahme personell, räumlich und zeitlich möglich ist, sprechen die Koordinatorinnen mit den Eltern, um das Angebot zu erklären. Wenn die Eltern zustimmen, lernen sich Kind und Ehrenamtliche*r oder Hauptamtliche kennen und können entscheiden, ob sie zusammenpassen. Für MAZ wird eine feste Stunde im Wochenplan verabredet, zum Beispiel dienstags in der dritten Stunde. Die Kontinuität und Verlässlichkeit der Begegnungen sind wichtige Säulen im Angebot. Pro Standort können pro Schuljahr circa 20 bis 25 Kinder betreut werden. Die Kinder dürfen im Angebot bis zum Ende der Grundschulzeit bleiben, wenn sie dies möchten.

In der Auszeit, die etwa eine Schulstunde dauert, steht das Kind mit seinen Bedürfnissen im Vordergrund: Es wird gemalt, vorgelesen, gespielt, getobt oder einfach geredet. Kinder benötigen Raum und Möglichkeiten, Kind sein zu dürfen, ohne Leistungsanforderungen, ohne Belastungen: um neue Energie zu tanken, zur Ruhe zu kommen, sich zu sortieren und neue Erfahrungen zu machen. Die Haupt- und Ehrenamtlichen dürfen die Räume der Nachmittagsangebote sowie die Turnhallen nutzen. Diese Zeit stellt für die Kinder häufig eine besondere Konstante dar, denn sie erfahren Zuwendung, Interesse, Ansprache, ein offenes Ohr für alle Anliegen und vieles mehr – in der Regel im 1:1 Kontakt. Das stärkt und fördert die Resilienz der Kinder und eröffnet Ihnen die Möglichkeit durch Gespräche mit ihrem Gegenüber andere Lebenswelten kennenzulernen und ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Die hauptamtliche Koordinatorin besucht die Ehrenamtlichen und die Kinder regelmäßig unangekündigt, um den Kontakt zu den Kindern aufrechtzuerhalten und um den Schutzauftrag wahrzunehmen.

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Menschen im Angebot

MAZ wird von drei Hauptamtlichen und aktuell etwa 22 Ehrenamtlichen angeboten. Jede Person ist einem Schulstandort zugeordnet. Für alle Mitarbeitenden gibt es regelmäßige Team-Sitzungen, Supervision und Fortbildungen. Die Hauptamtlichen kümmern sich um Organisation, Vernetzung und vor allem die Elternarbeit. Die Ehrenamtlichen werden für ihre Tätigkeit qualifiziert und von den Hauptamtlichen persönlich und fachlich eng begleitet. Sie sind für die schöne Gestaltung der Auszeit verantwortlich. „M. hatte große Mühe sich zu konzentrieren. Er war sehr musikalisch. Eines Tages entdeckte er, dass er mit dem Xylophon eine Melodie erfinden kann. Er hat konzentriert ein Lied komponiert und es dann gesungen,“ berichtet Angelika Lührs, seit sieben Jahren im Ehrenamtlichen Team. Für Eva Steentjes, die seit November 2021 im Team ist und das zweite Kind betreut, gab es einen besonderen Moment, als eines ihrer Betreuungskinder ihr seine Freude durch ein selbstgemachtes Präsent zeigte: Sie bekam eine bemalte Karte mit der Aufschrift „Ich bin froh, dass Du hier bist.“ Sabine Rosenbaum, seit Juni 2013 im Team, kann aus ihrem reichen Erfahrungsschatz berichten: „Ja, absolut, es gab Situationen, die mich an meine Grenzen gebracht haben. [Zum Beispiel] vermutete körperliche Gewalt und auch Vermeidung [des Kindes] sich mir gegenüber zu öffnen, weil das Kind heroinabhängige Eltern […] hatte.“ 

Das Angebot als Türöffner

Häufig werden Eltern nur dann in die Schule eingeladen, wenn es Probleme gibt. Die Mitarbeitenden vom Kinderschutzbund laden die Eltern explizit ein, um die Stärken der Kinder vorzustellen, um über die positiven Erfahrungen zu sprechen. Diese Gespräche sind freiwillig und können auch in den Räumen des Kinderschutzbundes stattfinden, wenn die Eltern Vorbehalte gegenüber der Schule haben. Das Angebot dient auf dieser Ebene als Türöffner für Gespräche über die Belastungen der Familien. Durch den offenen Einstieg nehmen viele Eltern die Fragen und Rückmeldungen der Mitarbeitenden nicht als Kritik oder Auflage wahr, sondern können sich öffnen und erzählen von ihren Schwierigkeiten. Durch die hohe Vernetzung haben die Kinderschutzbund-Kolleginnen schnell gute Ideen, wie den Familien Unterstützung angeboten werden kann. Zum Beispiel durch Vermittlung an andere Jugendhilfeträger oder gemeinsame Termine mit dem örtlichen Jugendamt, um weitere Hilfen zu beantragen.

Die Ziele des Angebots

Die teilnehmenden Kinder sollen im Laufe der Grundschulzeit so weit gestärkt werden, dass eine Basis zur gelingenden sozialen Teilhabe gelegt wird. Die positiven Erlebnisse aus den verlässlichen Betreuungssituationen, die erlebte Wertschätzung und offene Zugewandtheit der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen leisten einen unverzichtbaren Beitrag. Darüber hinaus hat die flankierende Elternarbeit die Mobilisierung der familiären und externen Ressourcen zum Ziel. So kann auch innerhalb der Familie eine gewisse Stabilität und Sicherheit entstehen und die begleiteten Menschen in unterstützenden Netzwerken verankert werden, die auch über die Grundschulzeit der Kinder hinaus weiter tragfähig bleiben.


Ausgabe 24-3

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