
Rechtsextremismus in Familien
Wenn Fachkräfte in Kita, Schule oder Jugendhilfe Auffälligkeiten im Spielverhalten des Kindes beobachten, die sie mit einer vorurteilsmotivierten oder einer extrem rechten Orientierung der Eltern verbinden, stellt sich die Frage: Auf welcher fachlichen und rechtlichen Grundlage kann interveniert werden? Was tun, wenn sich im Verhalten der Kinder und Jugendlichen Vorurteile oder Feindbilder der Eltern widerspiegeln? Was bedeutet es für Kinder, wenn sie selbst diskriminiert werden?
Der Umgang mit Eltern, die diskriminieren
Wenn Eltern machtvoll oder beiläufig diskriminierende Einstellungen äußern, haben wir es mit einem Dilemma zu tun: Zum einen gilt es, Eltern in ihrer Elternrolle und Verantwortung für das Kind anzuerkennen und gleichzeitig ihre ausgrenzenden und abwertenden Äußerungen zu verurteilen. Fachkräfte der Sozialen Arbeit und der frühkindlichen Betreuung und Bildung sind sich grundsätzlich einig, dass abwertende Äußerungen nicht im Raum stehen bleiben dürfen. Für alle in der Situation Anwesenden – je nach Arbeitsfeld und Setting – ist es ein wichtiges Signal, wenn die Fachkraft die diskriminierenden Botschaften erkennt und die Überzeugung vertritt, dass die Abwertung eines Menschen aufgrund eines Merkmals seiner Person wie Alter, Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Identität, Behinderung, sozioökonomischer Status oder Herkunft inakzeptabel ist. Mit einer kurzen Positionierung, in denen unumstößliche Werte und Regeln der Einrichtung vertreten werden, übernimmt die Fachkraft ihre RolIe der pädagogischen Anwaltschaft, auch gegenüber anwesenden diskriminierungsbetroffenen Personen.
Mit den Eltern wird ein Gespräch vereinbart. Ein solches Konfliktgespräch sollte nicht vor den Kindern ausgetragen werden, um den Schutz vor möglichen weiteren verletzenden Äußerungen zu gewährleisten. Orientierung bieten hier rechtsstaatliche Prinzipien, wie die Achtung der Menschenwürde, die für jede*n Menschen in gleicher Weise gilt und zur normativen Grundlage der Sozialen Arbeit und des gesellschaftlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages gehören. Diese Überzeugungen sind in diversen verbindlichen Gesetzen gegen Diskriminierung (zum Beispiel Kinderrechte, SGB VIII, AGG, Menschenrechtscharta) ausformuliert. Für Fachkräfte sind sie eine Aufforderung, sich der eigenen Werte und professionellen Haltung bewusst zu sein und diese für Eltern, Kinder und Jugendliche transparent und nachvollziehbar zu machen.
Kinder können Kinder diskriminieren
Auch Kinder können Vorurteile ihrer Eltern übernehmen. Manche lernen, zu misstrauen, Gleichaltrige als minderwertig wahrzunehmen und nicht mit jedem Kind spielen zu dürfen. Sie lehnen ein anderes Kind wegen des Hauttones, der Religion, der Sprache oder dem Geschlecht ab. Es macht einen Unterschied, ob Kinder abwertende Botschaften über Identitätsmerkmale Anderer zu hören bekommen oder ob sie ihnen selbst gelten. Im ersten Fall fühlen sich Kinder der überlegenen Gruppe zugehörig und wachsen auf im Glauben, dass diejenigen „normal“ und „besser“ seien, die so sind wie sie selbst und ihre Familien. Im anderen Fall beginnen Kinder zu glauben, sie und ihre Familie seien nicht „richtig“, machten Dinge „verkehrt“ und seien unterlegen. Sie zweifeln an sich selbst und ihren Familien und können kaum ein positives Selbstbild entwickeln. Das Fatale: Für Bildungsprozesse benötigen Kinder ein positives Selbstbild und die Sicherheit, sich zugehörig und angenommen zu fühlen in ihrer Identität.1
Kinder brauchen sichere Orte, an denen sie ihr Recht auf Entwicklung, Zugehörigkeit und diskriminierungsfreie Bildung erfahren können. Diskriminierungen, auch unter jungen Kindern, sind eine Form psychischer Gewalt, die betroffene Kinder erheblich gefährden kann.
Kinder, die selbst diskriminieren, dürfen – egal wie sie sich verhalten – ihr Recht auf Schutz, Anerkennung und Inklusion derweil nicht verwirken. Sie bleiben selbstverständlich Subjekte der pädagogischen Zuwendung. Gleichzeitig ist es wichtig, ihnen die negativen Folgen ihres Verhaltens zu vergegenwärtigen – für die anderen Kinder aber auch für sich selbst. Pädagog*innen sind den Menschen- und Kinderrechten verpflichtet, die für alle Kinder gelten.2
Elternrechte und Kinderrechte im Konflikt
Wenn Eltern Kindern verbieten, mit anderen Kindern zu spielen, die sie als nicht zugehörig wahrnehmen, werden Kinder in ihrem Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung beeinträchtigt. Dem Freiheitsrecht der Eltern, ihr Kind nach eigenen Vorstellungen zu erziehen, ist eine Grenze gesetzt: Das körperliche und seelische Kindeswohl ist dem elterlichen Recht auf religiöse und weltanschauliche Erziehung übergeordnet.3
Je genauer die Situation und Motivation sowie auch die Sorgen und Befürchtungen von Eltern durch die Fachkräfte eingeordnet werden können, desto klarer lassen sich Grenzen aber auch Chancen und Spielräume eines Dialogs ausloten. Lassen sich Eltern für die gemeinsame Arbeit zum Wohl aller Kinder gewinnen? Eine Haltung gilt als gefestigt, wenn keine Relativierungen, kein Abwägen der eigenen Meinung zugelassen wird. Extrem rechte oder fundamentalistische Eltern, die von ihren weltanschaulichen oder religiösen Ideen überzeugt sind, verfolgen in der Regel das Ziel, ihren Nachwuchs ideologisch zu prägen oder zu indoktrinieren. In diesen Kontexten stellen sich Fragen des Kinderschutzes. Gibt es Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung und Gründe im Vorfeld in ein Verfahren im Sinne des § 8a Absatz 4 SGB VIII einzusteigen? Dies ist der Fall, wenn aufgrund der Ausübung der elterlichen Sorge die körperliche und psychische Entwicklung behindert wird, persönliche Bindungen unterdrückt oder überfordernde Loyalitätskonflikte hervorgerufen werden. Je nach Einzelfall zieht die Fachkraft eine klare Grenze, indem sie autoritäre und angsterzeugende Erziehungsmaßnahmen ablehnt und dies mit dem Wohl des Kindes und seinen Kinderrechten begründet. Eine Vereinbarung mit den Eltern könnte zum Beispiel beinhalten, dass das Tragen extrem rechter oder menschenverachtender Kleidung/Symbolik in der Einrichtung und diskriminierende Äußerungen nicht akzeptiert werden.
Das Team bewältigt hier nicht nur eine akute Krise, sondern nimmt den Konflikt zum Anlass, sich mit dem Thema zu beschäftigen und eine gemeinsam getragene Haltung zu finden. Wird in der Institution eine Alltagskultur gelebt, in der unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften Respekt und Schutz gewährt wird und Kindern und Jugendlichen Alternativen zu extrem rechten Lebenswelten aufgezeigt werden, bestehen Chancen, dass sie sich für ein Leben in Vielfalt und gegenseitigem Respekt entscheiden.
elternstaerken.de
Eva Prausner, Projekt ElternStärken
1 Vgl.: Wagner, Petra (2020): „Was tun bei diskriminierenden Äußerungen von Kindern?“, S. 43. Hrsg:. Projekt ElternStärken: „Rechtsextremismus als Thema in der Kita“
2 Vgl.: Nentwig-Gesemann, Iris (2015): „Der Umgang mit rechtsextremen Orientierungen aus frühpädagogischer Perspektive“, S. 29. In: Hrsg.: Projekt ElternStärken: „Rechtsextremismus als Thema in der Kita“
3 Vgl.: Hemminger, Hansjörg (2004): Aufwachsen in einer Sekte – zur Situation von Kindern und Jugendlichen, S. 7