
Online-Extra: TikTok und Rechtsextremismus
Social Media ist für die Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie mittlerweile das bevorzugte Mittel. Die App TikTok steht aktuell besonders im Fokus, weil die Propaganda hier schnell in ein modernes Format gebracht und nicht zuletzt an junge Menschen adressiert werden kann.
Bis weit in die 2000er-Jahre hinein war die Hauptverbreitungsform für extremistische Inhalte und Orientierungen, die an Heranwachsende adressiert waren, noch an Musik geknüpft: Tonträger mit jugendaffiner Musik und Festivals zur Vernetzung der Szene waren die bevorzugten Mittel. Mit der zunehmenden Bedeutung von Onlinediensten zu Austausch, Vernetzung und Herstellung von Öffentlichkeit wurden von der neuen Rechten in den letzten Jahren immer mehr auch die Möglichkeiten von Social Media genutzt, um die eigenen Strategien anzupassen und die Verbreitung der Ideologien weiter zu optimieren (Hajok 2022).
Radikalisierung in der Social Media Welt
Im Jahr 2022 bildeten Propagandadelikte mit 62 Prozent den größten Teil der rechtsextremistischen Straftaten in Deutschland (BMI 2022). Mittlerweile gelten Online-Plattformen als zentrale Kanäle bei der Verbreitung rechtsextremer Propaganda. YouTube, Instagram und nicht zuletzt TikTok stehen im Fokus des Kinder- und Jugendmedienschutzes. Immerhin 13 Prozent der im Jahr 2022 insgesamt 7.363 im Netz registrierten Jugendschutzverstöße sind dem Bereich des politischen Extremismus zuzuordnen. Trotz Usermeldung oder offiziellem Kontakt werden solch problematische Inhalte keineswegs immer durch die Plattformen gelöscht (Jugendschutz.net 2023).
Jugendliche, bereits Kinder, sind über die Apps gut erreichbar und somit ein begehrtes Objekt der Radikalisierung. Sie sind „permanently online, permanently connected“ und können so immer und überall mitrechtsextremistischen Inhalten konfrontiert werden, ohne gezielt danach zu suchen (Vorderer 2015, S. 260). Ob sie es wollen oder nicht: Heranwachsende sind im Netz längst zu einer sehr wichtigen Zielgruppe rechtsextremistischer Propaganda geworden. Rechtsextremistische Akteur*innen und Gruppierungen nutzen das Social Web aktiv für die eigenen Ziele, verbreiten hier rechtsextremistische Propaganda, rekrutieren potenzielle neue Anhänger*innen, planen und vernetzen sich innerhalb der Szene (Hajok & Wegmann 2016, Neumann et al. 2018).
Die nutzergenerierten Inhalte auf Social Media-Plattformen sind nah an den Rezeptionsgewohnheiten und der Lebenswelt der jungen Nutzer*innen aufbereitet. Dadurch sinkt die Hürde, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen und eine emotionale Verbindung zu ihnen aufzubauen (Manemann 2020). Zudem evozieren die für Social Media typischen Austauschformen sinkende Hemmschwellen für Grenzverletzungen aller Art und befördern seitens der Agierenden auch Radikalisierungsprozesse. Zentraler Hintergrund sind die Besonderheiten digitaler Kommunikation, die von zeitlicher, räumlicher und sozialer Entgrenzung, dem Fehlen eines direkten Gegenübers, der Kanalreduktion eines (nur) mit Text, Bild und Video Ausgetauschten und den (algorithmisierten) inhaltlichen Zuspitzungen von Filterkammern bzw. Echokammern gekennzeichnet sind. In diesem Zusammenhang kann es nicht verwundern, dass laut Verfassungsschutzbericht immer mehrminderjährige Akteur*innen bekannt werden, die innerhalb dieser Echokammern auch extremistisch und gewaltbereit auftreten (BMI 2022).
Da die Heranwachsenden ihre soziale und politische Identität gerade ausbilden, kann der Kontakt zur rechtsextremistischen Szene riskant sein und zur Desorientierung beitragen (Lehmann & Schröder 2021). Niedrigschwellig und lebensweltorientiert bietet die rechtsextremistische Szene jungen Menschen auf Social Media vermeintlich einfache Antworten auf komplizierte Fragen, was in Zeiten der Orientierungssuche eine besondere Attraktivität erhält. Die ‚einfachen‘ Strukturen und Regeln können ein Gefühl von Macht und Überlegenheit stärken (Schmitt et al. 2017, Reinemann et al. 2019, Lehmann & Schröder 2021). Dies kann den eigenen Einstieg in die rechtsextremistische Szene zu einer Zeit erleichtern, in der politische Denkstrukturen gebildet und eigene Informationszugänge etabliert werden, die bis ins Erwachsenenalter reichen (Krieg 2021).
Propagandastrategien bei TikTok
Die Strategien von Rechtsextremist*innen auf TikTok sind genauso vielfältig wie die der Influencer*innen selbst. Sie unterscheiden sich in ihrer Reichweite, ihren Themen und ihrer Ästhetik sehr stark. Zusammengenommen erzielen rechte Akteur*innen auf der Plattform eine große Reichweite und wissen die Begebenheiten der App aktiv zu nutzen, um junge Menschen mit ihrer Ideologie zu erreichen (Jugendschutz.net 2023).
In der detaillierten Analyse ausgewählter Kanäle zeigt sich, dass Rechtsextremist*innen bei TikTok zur Vermittlung ihrer Botschaften eher auf positiv besetzte Emotionen (Stolz oder Zusammengehörigkeit) setzen als auf negativ konnotierte (Aggression, Wut oder Ärger). Offensichtliche Hassrede kommt in den geschickt mit jugendkulturellen Elementen wie Jugendsprachen oder Internetkultur verknüpften Clips demgegenüber relativ selten vor (Franke & Hajok 2022). Der teilweise verwendete Humor, wie er schon länger ein wichtiges stilistisches Mittel zur Überdeckung der rechten Propaganda im Netz ist, dient einer Verschleierung der eigentlichen Botschaft (Beyersdörfer et al. 2017).
Die meisten rechtsextremistischen TikToker*innen stellen sich als Teil einer eingeschworenen „deutschen“ In-Group dar. Andere werden als „nicht Deutsche“ abgewertet. „Das etablierte System“ im Sinne der aktuellen politischen Ordnung wird zum Feindbild konstruiert. Einerseits werden offen parteipolitische Verbindungen zur Alternative für Deutschland (AfD) und zum Dritten Weg hergestellt, andererseits werden die „Grünen“ und „Linken“ diffamiert (Franke & Hajok 2022). Bei den AfD-nahen Accounts fällt auf, dass sie sich aktuell nicht an den Sehgewohnheiten von TikTok orientieren. Sie laden beispielsweise Facebook-Videos hoch, die trotz der anderen Ästhetik teilweise eine große Reichweite erzielen (pre:bunk Teil 1 2023). Die meisten rechten TikToker*innen präsentieren sich kämpferisch und rebellisch. Kampfsportler präsentieren sich zudem gewaltbereit. Mit der Darstellung als stark und stereotypisch männlich wird versucht, andere junge Männer für ihre Sache zu gewinnen. Für geschulte Augen sind auch NS-Bezüge zuerkennen, etwa in Gestalt wie „Annika meine Ehre heißt Treue“ als Anlehnung an die Schutzstaffel (SS) (Franke & Hajok 2022). In vielen Accounts werden bildstarke Symbole, wie Wölfe, Adler und Wälder in den Videos verarbeitet (pre:bunk 2023). Auch die Auswahl der für TikTok-Videos typischen Musikuntermalung nutzen die Creator*innen, um rechtsextremistisches Gedankengut zu streuen. Durch die Möglichkeit, Cover-Versionen von Liedern zu erstellen oder zu verwenden oder diese einfach im Hintergrund des Videos laufen zu lassen, kann auch indizierte Musik z. B. von bekannten Rechtsrock-Bands wie Landser für Videos genutzt werden, ohne gleich eine Sperrung hervorzurufen (Franke & Hajok 2022).
Subtile Ansprache junger Nutzer*innen
Neben den rechtsextremistischen Kampfsport-Accounts und den Kanälen mit eindeutigem Parteibezug, gibt es rechte TikToker*innen, die sehr viel subtiler vorgehen. Sie sind jung und medienaffin. Sie orientieren sich an aktuellen Trends, tanzen und singen, präsentieren sich bewusst harmlos – und vermitteln nebenbei ihre Ideologie. Dafür wird sich der ganzen Bandbreite jugendaffiner Elemente der Social Media Welt bedient: GIFs, Memes, jugendaffine Schlagworte und trendige Hashtags dienen dabei auch der Verharmlosung der Inhalte (ebd., Lehmann & Schröder 2021). So gibt es beispielsweise Videos mit dem Hashtag #GRWM (Get ready with me).
Wie viele andere schminken sich auch rechte TikTokerinnen in ihren Videos oder erzählen ganz beiläufig von ihrer rechtsextremistischen Weltanschauung (pre:bunk 2023). Auffällig sind auch hier die stereotypischen Rollenklischees: Männlich gelesene Personen präsentieren sich als stark, soldatisch und muskulös. TikTokerinnen zeigen sich eher gemäß stereotypisierter Weiblichkeit – und werden in Kommentaren vermehrt mit Bezügen zu ihrer Äußerlichkeit bedacht. Relativ neu in der Szene ist die Bewegung der „Tradwifes“ –Frauen, die sich auf ihren Accounts für den Erhalt des traditionellen Frauenbilds stark machen (Rösch 2023).
Codes im rechtsextremistischen TikTok
Um einer Sperrung wegen Hassrede zu entgehen, wie sie laut „Community Richtlinien“ (TikTok 2023) verboten ist, werden meist rechtsextremistische Begriffe und eindeutige Codes und Emojis vermieden. Häufig werden Emojis in den Farben der Reichsflagge (Abfolge von schwarzen, weißen, roten geometrischen Formen) verwendet. Auch Adler oder Deutschlandfahnen deuten auf eine Verbindung zum Rechtsextremismus hin. Kommt es dennoch zu einer Sperrung der Accounts, erstellen die Creator*innen zur Verbreitung ihrer Ideologieneue Accounts oder es gibt Kanäle von Dritten, die ihre Inhalte erneut posten.
Viele rechte TikTok-Accounts verweisen außerdem direkt auf andere Plattformen und Dienste. Das deutet darauf hin, dass TikTok oft nur als Erstkontakt bzw. Erstzugang zu den überwiegend jungen Nutzer*innen der Plattform genutzt wird, um gerade sie in die geschlosseneren Kommunikationsräume etwa von Discord und Telegram zu locken. Der Öffentlichkeit entzogen lassen sich hier rechtsextremistische Einstellungen (noch) offener äußern und der Kontakt zu den jungen Nutzer*innen intensivieren (Franke & Hajok 2022). Mögliche Radikalisierungsprozesse entziehen sich dann auch weitestgehend einer angemessenen Intervention.
Hohes Potenzial zur Radikalisierung
Vor dem Hintergrund einer „Participatory Culture“ (Jenkins 2016) sind es gerade die auf kreativen Austauschbasierenden, über den bloßen Online- bzw. Hashtagaktivismus („Slacktivism“ oder „Clicktivism“) hinausgehenden niederschwelligen Interaktionsformen, die bestimmten politischen Botschaften mehr Reichweite verschaffen. Dies führt dazu, dass sich auch rechtsextremistische Akteur*innen gezielt der anbieterseitig angelegten Möglichkeiten wie den Videobearbeitungswerkzeugen bedienen, um ihre TikToks zu erstellen und – orientiert an den Aneignungsweisen der jungen Nutzer*innen – aktiv zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen.
Gerade im Hinblick auf eine jugendaffine Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie wird der App schonlänger ein hohes Potenzial an Desinformation und Radikalisierung zugesprochen, dem mit offiziellen Hinweisen an die Plattform alleine nicht beizukommen ist (Jugendschutz.net 2021). Für eine frühzeitige präventive Arbeit mit den jungen TikTok-Nutzer*innen ist es unerlässlich, die neuen Strategien in den kritischen Blick zu nehmen, sowohl was die Bild-, Ton- und Textebene an sich als auch die Bildunterschriften und Kommentare anbetrifft.
Lara Franke und Daniel Hajok für bpb.de (zuerst erschienen am 11.10.2023)
Mit freundlicher Genehmigung der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb.de
Verfügbar unter: www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/541511/tiktok-und-rechtsextremismus/